■ Vorschlag: Jochen Wisotzkis Film "Die Seiltänzer" im Babylon-Mitte
Gespannte Ruhe über der Stadt: Die Seiltänzer Foto: Asmus Jaap
Seiltänzer fallen nicht. „Es kann eigentlich nichts passieren. Wenn du deine normale, routinierte Arbeit machst, kannst du nicht runterfallen“, sagt Falco Traber in Jochen Wisotzkis Dokumentarfilm über die Hochseilfamilie Traber. Die meisten Artisten, die in den verschiedenen Truppen des weitverzweigten Clans arbeiten, stehen von Kindheit an auf dem Seil. Wisotzkis Film verläßt sich völlig auf die Wirkung der Personen, die er porträtiert: Individualisten in der Spannung zu einer altmodisch wirkenden Familienräson. Wisotzki betont die Mischung aus Stolz und Traditionszugehörigkeit, mit der die berufsmäßigen Selbstdarsteller sich präsentieren: „Traber steht für Hochseil. Wer Traber heißt, muß Hochseil können. Das ist nun mal so“, sagt Karl Traber. „Man hat eine Verpflichtung.“
Bilder von den Trabers auf dem Seil verleihen dem Film seine Spektakularität. Darunter sind Aufnahmen vom (gescheiterten) Versuch Mathias Trabers aus dem ostdeutschen Zweig der Familie, vom Fernsehturm zum Berliner Dom zu laufen. Ein Jahr später wiederholte die Traberfamilie (West) in Baden-Baden den Rekordversuch. Mehr als 600 Meter lief dort Falco Traber auf einem Drahtseil quer über der Stadt.
Wisotzkis Bilder betonen die gespannte Ruhe der Schau, nicht die Sensation. Das wird vor allem deutlich in der Art, in der Wisotzki den Unfall darstellt, der sich während des Laufes von Baden-Baden ereignete. Auf den letzten Metern ging hinter dem Hauptakteur ein zweites Mitglied der Truppe aufs Seil. Es stürzte ab und starb. Im Film verschwindet der Mann aus dem Bild: Die Kamera bleibt auf den ersten Läufer gerichtet. Sie dupliziert das „Sieh nicht hin!“, dem sich der auf dem Seil verbliebene Läufer unterwirft, der nur aus dem Ruck des Seils und der Publikumsreaktion schließen kann, daß sein Partner gefallen ist. Margot Traber, Queen Mom der Trabers/West, ist die einzige in dem ganzen Film, die sich bitter beklagt. Aber sie begehrt nicht auf, hat ihren Söhnen noch nicht einmal von der Angst erzählt, die sie hat, wenn die auf dem Seil sind. Rigoroser Stolz gehört zum Geschäft. Unkontrollierte Nervosität kann tödlich sein. Friederike Freier
„Die Seiltänzer“, heute 21.30 Uhr, morgen 21.00 Uhr mit anschließendem Gespräch. Babylon-Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße
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