■ Vorschlag: Sixteen Horsepower im Pfefferberg
Am wundervollsten sind jene Momente, in denen die Stimme eine Sekunde zu lang auf dem Grat schwebt, der den Gesang vom Krächzen trennt. Genau dieser Grat zwischen Handwerk und Genialität, jene Grenze zum Irresein, die auch Jeffrey Lee Pierce bis zu seinem Tode auslotete, die Patti Smith ein ums andere Mal überschritt, bevor sie sich ins gesündere Familienleben zurückzog. Allein auf weiter Flur, stehen die Zeichen der Zeit nicht mehr allzu günstig für David Eugene Edwards, seine Band Sixteen Horsepower und seine düsteren Moritaten ums Sterben, den Wahnsinn, die Liebe und The Lord: den alttestamentarisch strafenden Gott.
Wie es sich für eine Kapelle voller Bibelzitate gehört, müssen sich um die Entstehungsgeschichte von Sixteen Horsepower natürlich ein paar zünftige Mythen ranken. So stammt Sänger, Gitarrist und Multiinstrumentalist Edwards aus einer Predigerfamilie und ging als Kind mit der Oma im Leichenschauhaus kiebitzen. Heutzutage steht er schon mal minutenlang am Bühnenrand und fixiert das Publikum, als würde er gerade überlegen, wen er morgen zum Frühstück zu sich nehmen wird. Seinen französischen Bassisten Jean-Yves Tola lernte Edwards im Studio des B-Picture-Pabsts Roger Corman kennen, es wird auf einem Banjo aus den 30ern sowie einem deutschen Akkordeon von 1896 gespielt, und die letzte Platte „Low Estate“ wurde in einem der alten Plantagenhäuser in Louisiana aufgenommen.
Sollte es jemals jemand wagen, Nick Caves Roman „And Then The Ass Saw The Angel“ zu verfilmen, sollte er am besten nicht Cave selbst, sondern Edwards den Soundtrack komponieren lassen. „All my love, well it is madness“ singt er, und das hört sich auch so an. Es ist eine Welt, in der man Sportswear noch zum Sport anzieht, Männer noch spitze Schuhe aus Leder tragen und ein bißchen Wahnsinn zum guten Ton gehört. Eine Welt, in der Edwards seiner Liebsten im 3/4-Takt empfiehlt, doch ihre Tür mit seinen Zähnen zu schmücken. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176
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