■ Vorschlag: Unheimliche Versachlichung zu leise klackernder Musik: Anna Huber tanzt im Hamburger Bahnhof
Sie lächelt ins Publikum. Man hungert nach der Berührung ihrer Augen. Dieser offene Kontakt ist ungewöhnlich für die Tänzerin, die bisher ganz in ihren durchgeformten Kunstfiguren aufging. In der Aktionsgalerie des Hamburger Bahnhofs setzt sie sich den Besuchern aus.
Nach allen vier Seiten ist das kalte, spiegelnde Karree aus metallenen Platten offen, auf dem sie ihren Körper vorführt. Kein Rückzug möglich: Beobachtung gnadenlos. Denn noch während sie sich lächelnd dreht, erstarren die Mundwinkel, verschieben sich zum schiefen Grinsen, bis dieser krumme Strich den Körper um die Kurve und in verschraubte Spiralen hineinzwingt. Doch alles Wegwinden entzieht sie nicht unseren Blicken. „Unsichtbarst“ nennt die in Berlin lebende Schweizer Tänzerin und Choreographin Anna Huber ihr Solo.
Einerseits instrumentalisiert sie ihren Körper radikal und zeigt ihn vor wie ein Werkstück, abgespalten von der eigenen Befindlichkeit. Mit der Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger mißt sie die Abstände zwischen den Gelenken aus. Sie faltet, knickt, verknotet die Glieder, wringt und verbiegt die Wirbelsäule. Wenn sie die schneeweißen Arme und Beine entblößt, als ginge es um eine Anleitung zum anatomischen Zeichnen, wird Anna Hubers Körper beinahe durchsichtig. Man ahnt Knochen, Sehnen, Muskeln unter der Haut. Sie zupft am Stretch ihres schwarzen Hemdes, bis sich die Ärmel zu schwarzen Linien verzogen haben, die sie in ein Gerüst einspannen.
Doch je mehr sie sich selbst versachlicht, desto unheimlicher wird die Performance. In der Fragilität der langen, dünnen Glieder tanzt wie ein Schatten ein Knochenmann mit. Das leise Klackern in der sparsamen Musik von Wolfgang Bley-Borkowski verstärkt die Anmutung des Beinernen und Steinernen. An die reduzierten Figuren Giacomettis und die Insektenmenschen der Bildhauerin Germaine Richier erinnert dieses Durchscheinen des Skeletts. Wie in deren Skulpturen verbindet sich in Anna Hubers Tanz Vergänglichkeit mit einer elementaren und zähen Energie. Katrin Bettina Müller
„unsichtbarst“, noch bis 24.5., 21 Uhr, Aktionsgalerie im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50–51
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen