piwik no script img

■ VorschlagTropische Ideen für ein neues Europa – Edouard Glissant im HdKdW

Wenn Edouard Glissant im September dieses Jahres seinen 70. Geburtstag feiert, wird dieses Datum in Frankreich, den USA und auf den französischen Antillen nicht unbemerkt vorübergehen. Dort nämlich hat sich der Romancier, Lyriker, Essayist, Theaterautor und Kulturtheoretiker nicht nur als Verfechter kultureller Vielfalt, sondern auch als einer der wichtigsten Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Namen gemacht. Sein Versuch, schreibend die fragmentarischen Spuren der Geschichte aufzuspüren, entspricht den spezifisch karibischen Bedingungen der Identitätsbildung. Er erteilt damit denen das Wort, die ihre Geschichten bisher nicht erzählen konnten: die schwarzen Sklaven.

Zwar erwehren sich die überseeischen französischen Departements in den letzten Jahren zunehmend erfolgreicher der kulturellen Bevormundung durch ihre europäischen Kolonisatoren, doch der afroamerikanischen Bevölkerung bleibt eine Rückkehr zu einer afrikanischen Identität verwehrt. Die karibischen Gesellschaften zeichnen sich vielmehr durch komplexe Mischungsverhältnisse aus, die, im Gegensatz zur abendländischen Tradition, nicht auf einen kulturellen und zivilisatorischen Ursprung zurückzuführen sind. Die antillanische Ausprägung eines real existierenden Multikulturalismus, zusammengesetzt aus Plantagensklaven verschiedener afrikanischer Völker, eingewanderten Indern und französischen Kolonialherren, wird zu einem Mikrokosmos der Vielfältigkeit und des Übergangs. Daraus erklärt sich Edouard Glissant die Kreativität und die Fähigkeit der karibischen Bewohner, sich in den verschiedenen Zeiten und Räumen den je vorherrschenden Bedingungen anzupassen und immer neue Identitätsregister zu produzieren.

Nachdem Catherine David Glissant als einen ihrer 100 Gäste zur Documenta X empfing, ist auch hierzulande das Interesse an dem ehemaligen Kulturpolitiker der Unesco und Professor für Französische Literatur in New York gestiegen. Das Haus der Kulturen der Welt will nun den Autor zum Thema „Europa neu denken – Kulturen im Dialog“ befragen. Es wird interessant sein zu sehen, wie der Vizepräsident des Internationalen Schriftstellerparlaments die Regionalisierungstendenzen und Autonomiebestrebungen in Europa in Anlehnung an das aus unterschiedlichen zivilisatorischen Komponenten zusammengesetzte karibische Universum zu fassen versucht. Andrea Schwieger-Hiepko

Heute, 18 Uhr, im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles- Allee 10, Tiergarten

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen