■ Vorschlag: Hunger – eine Filmreihe der Berliner dogfilm-Leute im Bethanien
„Hungry eyes“ hieß ein Imbiß, an dem Merle Kröger in Bombay vorbeikam. Nicht „hungriger Magen“. In manchen Ländern können es sich viele nur leisten, mit den Augen zu essen. Nicht weit vom Imbiß passierte sie den Buchladen „Hungry Minds“. Deren Werbeslogan „Hungry Minds think alike“ – hungrige Köpfe denken gleich – haben sich die Dokumentarfilmer und –filmerinnen der Berliner dogfilm, zu denen Merle Kröger gehört, zur Kernfrage ihres neuesten Projekts gemacht. Auf die eingenommene Perspektive kommt es an, und wenn schon Hunger nach Essen nicht überall die gleichen Bilder produziert, weshalb sollte dies der Hunger nach Ideen tun?
Um darüber etwas herauszufinden, rufen sie an diesem Wochenende den Beginn eines „Staffellaufs der Bilder“ aus. Und der geht in etwa so: Der Filmer Anirban aus Bombay porträtiert seine Stadt, bringt seinen Film nach Alma-Ata und dreht dort noch einen über diese Stadt. Das eine Mal nähert er sich demnach einer Metropole mit dem Blick des Insiders, des Einheimischen, das andere Mal mit dem Blick von außen, dem eines Fremden. Vladimir Tyulkin aus Alma-Ata macht einen Film über seine Stadt, reist damit nach Berlin und dreht dort einen zweiten. So geht das weiter über Ägypten, Malaysia, die USA, Kanada. Wenn im Zuge der Globalisierung suggeriert wird, daß die kulturellen Unterschiede verschwinden, dann will die filmische Weltumrundung durchaus das Gegenteil beweisen. Am Wochenende stellt sich die Staffelauf-Equipe mit Beispielen aus ihrem bisherigen Filmschaffen im Kunstamt Kreuzberg im Bethanien vor. Fragen nach Identität, Paß, Landschaft, Familie, Herkunft, sozialer Rolle werden dabei gestellt. Die fünf Mitglieder von dogfilm selbst präsentieren ihren auf Arte gezeigten Themenabend, in dem sie die Seifenopern unter die Lupe genommen haben. „Parallelwelten“ nennen sie den amerikanischen TV-Traum der südamerikanischen Telenovelas – der Hollywoodisierung Kasachstans –, die den ehemaligen Sowjetbürgern und –bürgerinnen die Marktwirtschaft nahebringen sollen. Die „Lindenstraße“ wird zum phantastischen Alptraum, die nigerianische Serie „Mr. Basi & Compagny“ des hingerichteten Schriftstellers Ken Saro-Wiwa zur satirischen Aufklärung. Von dem in Kanada geborenen Libanesen Jayce Salloum wird ein Film über Beirut, von der weitgereisten New Yorkerin Shelly Silver ein in Japan angesiedelter Film mit 37 Geschichten über das Weggehen gezeigt. Kuala Lumpur wird in Interviews dekonstruiert. Wie ein Staat funktioniert, wird in Vladimir Tyulkins Film „Herr der Fliegen“ demonstriert. Poetisch und ausweglos ist die Autarkie der Hauptfigur. Herrschaft und Untertan sind nachgezeichnet an einem wenig zimperlichen Kreislauf: Wenn beispielsweise einer der vielen Hunde des „Herren der Fliegen“ stirbt, „züchtet“ er auf dem Kadaver Maden, die an Hühner verfüttert werden, die ihn und weitere Haustiere ernähren.
Die Veranstaltungen der dogfilm-Crew, die übrigens aus der kulturellen Experimentierfreude der Nachwendezeit in Berlin hervorgingen, laufen parallel zum Aufenthalt der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen in Berlin. Migrationsthemen sind eng verflochten mit wirtschaftlichen Veränderungen, aber Flucht- und Wanderbewegungen sind nicht nur soziale Phänomene, die politisch oder juristisch zu begreifen sind. Sie zwingen vielmehr zu subjektbezogener Auseinandersetzung. Die in der Karawane durch Deutschland Ziehenden thematisieren an Menschen, was die dogfilmer in visuellen Metaphern festhalten wollen: Es gibt mehr als eine Perspektive auf das Leben, mehr als einen Grund, sein Land zu verlassen, mehr als eine kulturelle Identität. Waltraud Schwab
Vom 20.-22.8., Eröffnungsveranstaltung von „Hungry Minds think alike?“ heute um 19 Uhr im Kunstamt Kreuzberg im Bethanien. Empfang der Karawane am Oranienplatz heute um 19 Uhr mit anschließendem Zug zum Mariannenplatz. Info zu den weiteren Veranstaltungen: dogfilm Tel.: 27 59 00 80, Karawane Tel: 7 86 59 17
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