Vorschlag der SPD: Pflegegeld wie Elterngeld
Die SPD will Pflegegeld analog zum Elterngeld. Doch die schwarz-gelbe Regierung und auch die anderen Oppositionsfraktionen urteilen: "realitätsfern".
BERLIN taz | Die SPD stößt mit ihrem Beschluss, im Fall eines Bundestagswahlsiegs 2013 ein steuerfinanziertes Pflegegeld analog zum Elterngeld einzuführen, auf Kritik bei Oppositions- wie Regierungspolitikern. Der Vorschlag sei ein "weiteres Kuriosum aus dem Wünsch-dir-was-Katalog der SPD", spottet der FDP-Pflegeexperte Heinz Lanfermann: "Dafür ist kein Geld da."
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, hält die Idee für so abwegig, dass er sie "nicht kommentieren" will. Die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wirbt unterdessen weiter für ihr eigenes Pflegezeitmodell. Danach sollen Beschäftigte zur Pflege ihrer Angehörigen Anspruch auf großzügige berufliche Freistellung haben - sofern sie auf ihren Lohn verzichten.
Einigkeit zwischen den Parteien besteht immerhin darin, dass die Rolle pflegender Angehöriger gestärkt werden muss. Denn zum einen wächst der Bedarf an Pflege- und Betreuungskräften - Stichwort demografischer Wandel - dramatisch. Zum anderen ist es Umfragen zufolge mehrheitlicher Wunsch der 2,2 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland, in ihrem gewohnten Umfeld zu altern. Die Angst, mit der Aufgabe der eigenen Wohnung auch die Selbstbestimmung zu verlieren, sitzt bei vielen tief. Paradoxerweise ist aber der Anteil der in Heimen Untergebrachten in den vergangenen zehn Jahren stetig gestiegen, von 26,3 Prozent 1999 auf 31,8 Prozent 2009. "Weil passgenaue Angebote in der häuslichen Pflege fehlen oder für viele unbezahlbar sind, passen sich die Menschen gezwungenermaßen Strukturen an, die sie eigentlich ablehnen", sagt Armin Lang, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG). "Das ist fatal."
Zur Stärkung der häuslichen Pflege und zur finanziellen Absicherung pflegender Angehöriger hat sich die SPD bei ihren Klausuren diese Woche dafür ausgesprochen, das bestehende Pflegezeitgesetz, das eine bis zu sechsmonatige Auszeit ohne Lohnersatz vorsieht, zu verändern. Angehörige, die ihre Verwandten pflegen wollen, sollen sich, so der SPD-Vorschlag, vom Arbeitgeber ganz oder stundenweise freistellen lassen können - und dafür Lohnersatz erhalten, dessen Höhe noch zu berechnen wäre. Hinzu kämen soziale Absicherung wie etwa beitragsfreie Krankenversicherung, Anrechnung auf die Rentenzeiten und Job-Rückkehrgarantie. Damit würden pflegende Angehörige erstmals erziehenden Eltern gleichgestellt. Denkbar, so Lang, sei auch ein häuslicher "Versorgungsmix", in dem Profi- und Laienpfleger, Tagesbetreuer und medizinische Dienste innerhalb der häuslichen Pflege miteinander kooperierten.
Die Konzepte der anderen beiden Oppositionsparteien haben eine ähnliche Stoßrichtung, dennoch schließen Grüne und Linke eine gemeinsame Pflegegeld-Initiative derzeit aus. Die Differenzen liegen im Detail. So halten die Grünen das SPD-Modell des Pflegegelds für Angehörige für "realitätsfern". "Viele Familien leben nicht mehr an einem Ort", sagt die pflegepolitische Sprecherin der Fraktion, Elisabeth Scharfenberg. Insofern sei es "Wunschdenken" zu glauben, Kinder könnten im Alter ihre Eltern automatisch selbst pflegen. Außerdem drohten Frauen auf diese Weise aus dem Beruf gedrängt zu werden.
Die Grünen fordern stattdessen eine dreimonatige Pflegezeit, während der die Angehörigen die Pflege ihrer Wahl organisieren sollen. Dazu sollen sie steuerfinanziert 50 Prozent ihres Nettogehalts erhalten, mindestens aber 300 Euro und höchstens 1.000 Euro.
Die Linke wiederum findet, eine würdige Pflege sei in erster Linie eine hochprofessionalisierte. Für deren Organisation genügten sechs Wochen, diese aber bei vollem Lohnausgleich, notfalls orientiert am Arbeitslosengeld I. "Außerdem muss die Pflegeversicherung ihren Teilkaskocharakter aufgeben und Vollkasko werden", fordert die pflegepolitische Sprecherin der Fraktion, Kathrin Senger-Schäfer. Und: "Die Vorstellung, Pflege kann jeder, muss aufhören."
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