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taz FUTURZWEI

Vormarsch von AfD und BSW Das große Versagen

Respekt für Dietmar Woidke, aber was ist mit dem knappen Sieg der SPD über die AfD in Brandenburg gewonnen? Die Populisten haben in Brandenburg jetzt eine Sperrminorität und Zugriff aufs Regierungshandeln. Der Kommentar für taz FUTURZWEI von Udo Knapp.

Ein Gewinner, aber um welchen Preis: Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg Foto: picture alliance/dpa/Patrick Pleul

taz FUTURZWEI | Mit dem Satz „Entweder ich gewinne oder ich gehe“ hat Dietmar Woidke einen politischen Auftrag so glaubhaft mit seinem weiteren politischen Lebensweg verknüpft, dass Wähler in Brandenburg zugunsten der Fortsetzung des Ministerpräsidentensamtes durch ihn andere Überlegungen und Bedenken zurückgedrängt haben. Respekt.

Mit 30,9 Prozent und einem Zugewinn von 4,7 Prozent hat Woidke erreicht, dass die AfD, trotz wuchtiger 29,2 Prozent der Stimmen zwar eine Sperrminorität, aber keinen Zugriff auf die politische Macht in Brandenburg bekommt. Im Landtag in Potsdam werden neben SPD, AfD, CDU und BSW keine der anderen kleinen Parteien mehr vertreten sein. Eine Regierungsbildung ohne das BSW wird unmöglich. Und die rechten und linken Populisten von AfD und BSW bringen gemeinsam weit mehr als ein Drittel aller Wähler hinter sich. Daran hat Woidkes Erfolg nichts geändert.

Sieben von 63 Millionen

Grundsätzlich sieht die Lage so aus: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg leben sieben der insgesamt 63 Millionen Wahlberechtigte der Republik. Diese sieben Millionen Wähler spielen mit ihren Präferenzen für rechte und linke Autoritäre für den Ausgang der Bundestagswahlen im nächsten Jahr nicht die entscheidende Rolle.

AfD und BSW sind in den neuen Ländern erfolgreich, weil es SPD, CDU und auch den Grünen hier in 30 Jahren nicht gelungen ist, sich als genuine, politisch programmatische Institutionen zu etablieren. Die CDU ist im Osten immer noch die alte DDR-Blockpartei geblieben. Die Landesverbände der SPD haben nicht viel mehr Mitglieder als der eine oder andere Ortsverein in NRW. Die FDP hat als die Nachfolgerin der DDR-LDPD nie an eigenem Profil gewonnen. Die Grünen existieren hier nur, weil sie Teil ihrer Mutterpartei im alten Westen sind, von einer Verankerung grüner Ideen in großen Teilen der Landbevölkerung kann keine Rede sein.

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Eine Repräsentation des Bürgerwillens durch die Parteien, wie sie im Grundgesetz vorgegeben wird, gibt es in den Neuen Ländern nicht. Die Parteien gibt es nur deshalb, weil die repräsentative Demokratie, das Erarbeiten von Kompromissen und das Bilden von Koalitionen, das Besetzen von Ämtern auf allen exekutiven und administrativen Ebenen, formal legitimiertes Personal braucht, um zu funktionieren. Die Parteien in den Neuen Ländern sind Karrierevereine, aber kaum politische Subjekte im demokratischen Leben. Dass AfD und BSW hier mit genuin demokratie- und freiheitsfeindlichen Politikprogrammen Zustimmung gewinnen, verwundert angesichts dieser Tatsachen wenig.

Woidke und die zentralgesteuerte Kadertruppe

In Brandenburg hat Dietmar Woidke für dieses Mal diese geistlose politische Wüste durch das klassische Instrument der Personalisierung aufgemischt. Doch was kann er mit dem Sieg anfangen? An der politischen Ideen- und Prinzipienlosigkeit von CDU und SPD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat sich dadurch nichts geändert. Mario Voigt (CDU) in Erfurt und Michael Kretschmer (CDU) in Dresden wollen mit dem BSW eine Koalition bilden. Auch Woidke muss nun mit dem BSW verhandeln, wenn er weiter regieren will.

Das BSW ist keine, auch nur im Ansatz in der Bevölkerung verankerte Partei, sondern eher eine zentralgesteuerte Kadertruppe. In Brandenburg hat sie nur vierzig Mitglieder. Ihre wirkmächtigen Ziele sind das Ende von Waffenlieferungen für die Ukraine, einen „Frieden“ genannten Sieg für den russischen Aggressor, die Wiederaufnahme russischer Gas- und Öllieferungen und das Verhindern der Stationierung von US-amerikanischen Raketen im Rahmen der NATO zum Schutz Deutschlands vor einer nicht auszuschließenden Aggression Russlands.

An diesen Zielen wird das BSW für den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr strategisch festhalten, auch wenn es in den Kabinetten in Erfurt, Dresden und Potsdam die Sozial- oder Bildungsmister stellen sollte.

Es gibt eine Option für die CDU

Durch eine Koalition liefern CDU und nun möglicherweise auch die SPD dem BSW die Basis für deren Erfolg versprechenden Wahlkampf im Bund. Sie befeuern damit die Politikverdrossenheit vieler Wähler. Die erleben Politik als schablonenhaftes, ideen- und prinzipienloses, gelegentlich ideologisierendes und stets bloß machtbezogenes Daherreden. Dabei gäbe es für die CDU durchaus eine Alternative. Wenn mögliche Minderheitsregierungen nicht funktionieren sollten, dann könnte sie auch politisch zugespitzte Neuwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg herbeiführen.

Das Gute nach diesem Sonntag ist, dass das aufgeblasene Theater um die Wahlen in den Neuen Ländern, die Jammerei über die angeblich immer noch benachteiligten Ossis erst einmal wieder aufhört. Die Wähler in den Neuen Ländern haben nichtsdestotrotz eine politische Botschaft an die Parteien jenseits von AfD und BSW ausgesprochen, die nicht wieder einfach so verklingen sollte.

AfD und BSW mit dem attraktiveren Angebot

Populistische Parteien sind für die Wähler so attraktiv geworden, weil alle anderen Parteien – bis auf die Grünen – die Systemkrise der Moderne und ihre Transformation in eine nachfossile und nachhaltige Moderne nur als einen unter vielen Punkten auf der politischen Agenda behandeln. Die Leute wissen schon, dass die Klimakrise, der reale Krieg in Europa und der Systemkrieg zwischen autoritären und demokratischen Ländern in der Welt nicht aufhören werden, wenn sie AfD und BSW wählen.

Aber solange die Parteien die Systemkrise nicht mit Konzepten in machbaren Schritten angehen und dafür jenseits ihrer verschwurbelten Programmsprache werben, liefern AfD und BSW aus ihrer Sicht das attraktivere Angebot. Die Erfolge der AfD sind nichts anderes als ein Beleg für das Versagen der übrigen Parteien. 🐾

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.