Vorlauf: Verschwitzte Träume
■ "The Tunnel", 23.55 Uhr, Premiere
„Premiere“ ist das Programm für jene Double-Income-Two-Kids, die der Kinder wegen ihre Abende zu Hause verbringen müssen und trotzdem nicht vom kulturellen Leben abgeschnitten sein wollen. Deshalb zeigt Deutschlands erstes Pay-TV seinen zahlungskräftigen Kunden vorzugsweise anspruchsvolle Kinoproduktionen — und den frustrierten Mamas neuerdings im Nachtprogramm niveauvolle Erotikfilme. „Ladies Night“ heißt die Sendereihe, die an jedem letzten Freitag im Monat den Premiere-Zuschauerinnen ein anspruchsvoll feuchtes Höschen bescheren soll. Heute abend will die ehemalige Pornodarstellerin Candida Royalle mit ihrer US-Produktion „The Tunnel“ unter Beweis stellen, daß Erotikfilme auch uns Frauen gefallen können — wenn sie nur niveauvoll sind.
Die Story ist simpel. Siobhan Hunter ist eine junge attraktive Malerin, die des nachts unter dem immer gleichen verschwitzten Traum leidet: In einem mysteriösen Tunnelgewölbe erwartet sie ein junger Adonis, dessen eindeutige Bewegungen keinen Zweifel an seinen verlockenden Absichten zulassen; hier soll eine Orgie stattfinden. Aber leider erwacht Siobhan allmorgendlich schweißgebadet auf ihrem Futon, stets bevor es zum Äußersten kommen konnte. Die Ruhe ist hin, das Herz ist schwer, bis die Zufallsbekanntschaft mit einem sensiblen Masseur (Steve Lokwood) Traum und Wirklichkeit endlich zusammenführt. Der Traumtunnel ist nämlich eine New Yorker Massagepraxis, und der Hausherr versteht sein Handwerk vortrefflich. Zarte schöne Männerhände lösen die Verspannungen der verstörten Malerin, die sich nach anfänglichem Zögern dann doch auf dem roten Seidenlaken aufs sinnlichste hingibt. Wunsch und Realität überblenden sich formschön, und der „Voice of love“-Chor haucht dazu eine weidlich bekannte Melodie.
Zugegebenermaßen einfühlsam inszeniert Candida Royalle die alte, nie erfüllte Sehnsucht der vielen Premiere-Mamas, endlich einmal mit ihren eigenen Bedürfnissen nach Zärtlichkeit und sanftem Sex im Vordergrund der häuslichen Turnübung zu stehen. Zehn Minuten zarte Erotik ohne aufgestellte Genitalien, das ist vielleicht mehr, als frau im wahren Leben von ihrem Mann erwarten kann. Schade eigentlich nur, daß die restliche halbe Stunde der „Ladies Night“ mit dieser blöden Rahmenstory vertändelt wird. Denn Hand aufs Herz: Wer sich am Wochenende vor den Fernseher hockt, um mit einem feuchten Höschen einzuschlafen, den interessiert doch nun wirklich nicht, daß Siobhan Hunter am Ende wieder malen kann, oder? Klaudia Brunst
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