■ Vorlauf: Grünbraun und trüb
„Auschwitz – Fünf Tage im November“, So., 21.00 Uhr, 3sat
Ein Bahnübergang, wartende Autos, im Radio hört man polnische Nachrichten, ein Zug fährt vorbei. Ausgewaschene Farben, Blaßgrün und Brauntöne. November 1994. Es regnet in Oświecim, einer polnischen Kleinstadt, die einmal Auschwitz hieß. „Bahngleise codieren unsere Erinnerung. Bahngleise wird es auch in diesem Film geben“, sagt die Off-Stimme und gibt Thema und Ton des Filmes an: die Unzulänglichkeit des Gedenkens, die nur durch naßforsche Unmittelbarkeit zu kaschieren wäre. Die Kamera (Christian Lehmann) registriert lakonisch den Museumsbetrieb. Eine Hot-dog-Bude annonciert cold drinks und sweeties. Das ehemalige KZ Auschwitz ist ein merkwürdiger Ort: Museum, Friedhof, Mahnmal, touristische Attraktion mit knapp einer Million Besuchern jährlich.
Später sehen wir das schmiedeeiserne Eingangstor des Stammlagers Auschwitz. „Arbeit macht frei“ steht darüber. Meist wurde dieses Tor aus Untersicht fotografiert, damit es gewaltiger wirkt, sagt die Off-Stimme. Und: Die meisten Häftlinge haben es nie gesehen, denn die Transporte gingen nach Birkenau. „Auschwitz – Fünf Tage im November“ macht in seinen besten Augenblicken die zu Phrasen gewordenen Bildercodes für einen neuen Blick durchlässig und zerstört jene vertraute Ikonographie, die uns die Illusion vermittelt, verstanden zu haben, was wir nicht kennen.
Ein stiller, genauer, kurzer Film, fern von Betroffenheitsbekundungen und jenem TV-Gedenkbetrieb, in dem uns routiniert nonchalant die „Wahrheit über Auschwitz“ beigebracht werden soll. Nur der Kommentar will zuviel erklären. Aber das Problem, wie man Auschwitz und Birkenau konservieren darf, ob es schon Fälschung ist, den verrosteten Stacheldrahtzaun zu ersetzen, ob man die Ruinen der Gaskammern verfallen lassen oder zwecks Anschaulichkeit restaurieren soll, ist in ein paar Sätzen nicht darstellbar. Am Ende sehen wir einen Teich, grünbraun und trüb, wie tausend andere. In diesen Tümpel kippte die SS die Asche der Ermordeten. Die Bilder geben den Schrecken nicht her.Stefan Reinecke
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