Vorlauf: Hochreflektierte Musikgeschichte
■ "Der letzte Engel der Geschichte", 0 Uhr, ZDF
„Der letzte Engel der Geschichte“, 0 Uhr, ZDF
Die Arbeiten des Londoner „Black Audio Film Collectives“ nähern sich dem Thema „schwarze Identität“ ganz anders als das afroamerikanische Genre-Kino. Nicht die Suche nach deren positiver Repräsentation eint den Zusammenschluß der unabhängigen Filmemacher, sondern die Kritik am naturalisierenden Umgang mit Kategorien wie „Rasse“. Vielmehr „den hybriden Charakter von Ethnizität“ zu Ende denken zu wollen, formulierte programmatisch John Akomfrahs Kollege Isaac Julien, dessen „Darker Side of Black“ die Schwulenfeindlichkeit im HipHop analysierte.
In seinem halbdokumentarischen Filmessay „Der letzte Engel der Geschichte“ unternimmt John Akomfrah einen sehr eigenwilligen Versuch, (post)koloniale Theorieansätze und afroamerikanische Musikgeschichte auf der Basis einer digitalen Videoästhetik zu vermitteln. Er montiert Interviewpassagen mit erzählerischen Sequenzen und verfremdeten Computergraphiken zu einer eindrucksvollen Bildersprache. Gelungen ist ihm dabei sicherlich nicht nur der bisher für die 90er Jahre relevanteste Musikfilm, sondern zugleich eine hochreflektierte Geschichte der „schwarzen Diaspora“, deren Stärke darin liegt, auf alle Ursprungssehnsüchte verzichten zu können. So wie Walter Benjamins Figur des Geschichtsengels, auf die der Titel verweist, vom „Fortschritt“ rückwärts aus dem verlorenen Paradies in eine ungewisse Zukunft getragen wird, versucht Akomfrah, Fragmente aus dem Kontinuum der schmerzlichen Geschichte herauszusprengen, um sie auf ihren utopischen Gehalt zu befragen. Wichtigstes Fragment für Akomfrah bildet die Science-fiction-Metaphorik des Aliens, der Exterrestrialität, mit der so unterschiedliche Musiker wie George Clinton im Funk, Sun Ra im Jazz oder Lee Perry im Reggae spielten und die mit der innovativen Verfremdung von Studiotechnologie verbunden war. Von ihr behauptet der Popkritiker Greg Tate, daß sie die Entfremdung und Dezentrierung beschreibt, die die Erfahrung der Diaspora ausmacht.Tobias Nagl
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