Vorlauf: Angemessene Tonart
„Ganz unten, ganz oben“ (20.45 Uhr, Arte)
„Geld braucht man, wenn man es nicht hat“, sagt Marianne Sägebrecht über diesen Fillm. „Kredit kriegt man, wenn man ihn nicht braucht.“ Matti Geschoneks Film „Ganz unten, ganz oben“ thematisiert ein alltägliches Schicksal: Schuldlos ist die Bankkassiererin Elli Schulze überschuldet. Ihr Exmann hinterließ ihr einen riesigen Schuldenberg, bevor er sich absetzte. Nach dem Dominoprinzip verliert Elli binnen kurzem ihre gesamte Existenz: Als Kassiererin ist sie nun nicht mehr tragbar, ohne Job fliegt sie dann aus der Wohnung, neue Arbeit gäbe es nur mit festem Wohnsitz. Ehe sie sich versieht, hat man Elli im Obdachlosenasyl ihr letztes Kostüm geklaut. Jetzt ist sie „ganz unten“.
Es ist schwer, die angemessene Tonart für ein solches Lehrstück über unseren Sozialstaat zu finden. Allzu schnell könnte der dramaturgisch auf 90 Minuten geraffte Absturz zu einer übertrieben düsteren Farce werden; entlastende komödiantische Elemente wiederum bergen die Gefahr, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen; ginge die Sache gut aus, wäre das Parabelhafte verspielt. Das Drehbuch von Hannah Hollinger findet einen Ausweg: Es stellt der Hauptfigur einen Schutzengel zur Seite, den introvertierten Kranführer Peter. Der steht schon von Berufs wegen „über den Dingen“ und weist der verzweifelten Elli den Weg aus ihrer Mutlosigkeit. Dabei geht es weniger um materielle Unterstützung, sondern darum, dass sich überhaupt noch ein Mensch für Ellis Zukunft interessiert. So verwandelt sich das Sozialdrama unter der Hand in eine schüchterne Liebesgeschichte, in der sich Marianne Sägebrecht und Dietmar Bär als Traumpaar entpuppen. Wunderbar in sich ruhend gibt Bär den Counterpart zur quirligen Sägebrecht und motiviert so glaubhaft Ellis neu erwachten Kampfesmut.
Am Ende des Films werden die beiden „ganz oben“ auf Peters Kran über München blicken. Keines der finanziellen Probleme wird tatsächlich gelöst sein. Dennoch glaubt man jetzt gern an ein Happy-End nach dem Abspann.Klaudia Brunst
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