Vorgehen gegen Zivilisten in Afghanistan: "US-Truppen machen, was sie wollen"

Im Südosten Afghanistans sind paschtunische Stämme über das Vorgehen der USA gegen die Zivilisten empört. Doch noch gibt es auch versöhnliche Stimmen.

Ruft Unmut in der afghanischen Bevölkerung hervor: US-Soldat. Bild: dpa

Wenn der Helikopter der Vereinten Nationen den Satta-Pass überwunden hat und sich in den Kessel von Khost senkt, wechselt die Szenerie abrupt. Während weite Teile Afghanistans unter Schnee liegen, grünen hier bereits die Felder. Doch der Khoster Frühling hat eine Schattenseite. Andernorts friert die Kälte den regierungsfeindlichen Aufstand regelrecht ein. Doch hier in Südost-Afghanistan, nahe der pakistanischen Grenze, gibt es keine Winterpause. Alle paar Tage kommt es zu Zwischenfällen, selbst in der Provinzhauptstadt, die auch Khost heisst.

Vor zwei Wochen attackierten Aufständische einen US-Konvoi mit einer Sprengladung. Zwei Soldaten starben. Fünf Tage später fiel der Gouverneur des Nachbardistrikts Sabari einer Mine zum Opfer. Am Donnerstag fingen Bewaffnete am Stadtrand ein Auto ab, in dem afghanische Sicherheitsleute zur Arbeit fuhren, die für das US-Militär arbeiten. Ein paar Kilometer weiter brannten sie eine Jungenschule nieder.

Solche Vorfälle sollen die in Camp Salerno am Khoster Stadtrand stationierten US-Soldaten, die 2008 der multinationalen Schutztruppe Isaf unterstellt wurden, eigentlich verhindern. Aber wenn sie zurückschlagen, tun sie das oft blindlings. Das meinen jedenfalls viele Bewohner Khosts. Eine lange Liste von Vorfällen wird immer wieder vorgebracht. Wie dreimal in einer Woche Kommandos das Haus des Parlamentsabgeordneten Hanif Shah durchsuchten und ihn demütigend in Handschellen abführten. Wie in Koranschulen Hunde eingesetzt würden - für Afghanen eine Entweihung. Wie US-Kampfhubschrauber 14 Wächter einer im US-Auftrag tätigen Baufirma niedermachten. Sie sollen laut US-Truppen zuerst das Feuer eröffnet haben, als ihr Wagen von einem Posten gestoppt wurde. Dass im US-Stützpunkt Bagram seit Monaten zwei über 80-jährige Stammesälteste aus der Gegend festgehalten werden.

Besonders erbost hat die Khoster der Fall Doktor Bilals. Das Haus des Arztes wurde im Dezember mitten in der Nacht durchsucht. Mehrere Familienangehörige kamen ums Leben. Vor der Bevölkerung und in Anwesenheit Präsident Hamid Karsais, der persönlich kondolierte, schilderte Bilal den Hergang: "Die Amerikaner kamen ohne Warnung herein. Zuerst töteten sie einen meiner Neffen, der neben einem Gewehr schlief. Er war 14 Jahre alt. Einer meiner Brüder kam mit einer Waffe dazu. Sie schossen ihn nieder, dann auch seine Frau, die ihm gefolgt war. Dann ließen sie ihre Hunde los." Die Amerikaner vermuteten al-Qaida-Sympathisanten im Haus. Tatsächlich war ein Angehöriger zu Besuch, der als Gastarbeiter am Golf Arabisch spricht. "Aber das tun viele hier", sagt Taj Ali Saber, der Vorsitzende des gewählten Provinzrates.

Der von erbosten Khostern zum Rücktritt aufgeforderte Karsai versprach, den Vorfall mit dem US-Kommando aufzuklären. Wenn nicht, werde er eine Loya Dschirga einberufen - eine traditionelle Versammlung der einflussreichsten Afghanen - und über die Anwesenheit der ausländischen Truppen abstimmen lassen. Er schrieb an die Nato und verlangte mehr Mitsprache über den Einsatz ihrer Truppen.

Heute ist es kaum noch zu klären, wer die Gewaltsspirale in Gang gesetzt hat. Saber sieht die Schuld bei den Amerikanern. Sie hätten zu einer Zeit angefangen, Häuser zu durchsuchen und vermeintliche Taliban zu verhaften, als "die Regierung hier keine fünf Gegner hatte". US-Militärs verweisen darauf, dass sie in Koranschulen Sprengstoff und in vielen Häusern Waffen und Material für Sprengsätze gefunden hätten. Vizegouverneur Taher Khan Sabarai schließt das nicht aus. Aber es müssten Beweise vorgelegt werden. "Wenn die Amerikaner ein Waffendepot ausheben, holen sie uns ja auch."

Der 70-jährige 1,90 Meter große Mann mit dem schlohweissen Bart ist einer der prominentesten Stammesführer des Landes. Sabarai zählt die US-Prominenz auf, die schon bei ihm vorsprach: Botschafter, Befehlshaber und im vorigen Jahr sogar Obamas jetziger Beauftragter für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Ihnen allen habe er geraten, die religiösen Gefühle der Afghanen zu achten. Aber das habe nichts bewirkt: "Keine Änderung, sie machen, was sie wollen."

Ausgerechnet ein ehemaliger Talib versucht zu vermitteln. Maulawi Seyyedullah Said war bis Ende 2001 Minister der Koranschüler-Bewegung. Danach saß er einige Jahre Haft auf dem US-Stützpunkt Bagram ab. Nach seiner Entlassung gründete der Islamgelehrte in Khost eine kleine Partei mit langem Namen: die Islamische Bewegung der Nationalen Einheit des Mudschahedin-Volkes Afghanistans. Er redet von "islamischer Demokratie" und Frauenrechten und - Mullah Omar wird sich in seiner Höhle winden - schüttelt nonchalant einer UN-Mitarbeiterin die Hand. Auch er kritisiert die US-Militäroperationen hart. Gleichzeitig sei auch das Vorgehen "der Opposition", wie er sich ausdrückt, "inakzeptabel". Entführungen, Lösegeldforderungen und Geiselhinrichtungen widersprächen "dem Islam und der paschtunischen Kultur".

Said hat einen Plan: Regierung und Taliban sollten "über ein drittes Land" miteinander reden, dann auf einer "Konferenz wie die 2001 in Bonn" eine "gemeinsame Regierung" schaffen. Dort solle beschlossen werden, "was die Rechte der Opposition seien und was mit ihren Waffen geschehen soll. Von einem Truppenabzug redet er nicht. Dem stimmt auch Taher Khan Sabarai zu: "Die Anwesenheit der westlichen Truppen ist eine Vorbedingung für den Wiederaufbau Afghanistans." Aber wenn die US-Truppen Sabarais Rat nicht endlich folgen, könnte deren jetzige Aufstockung noch mehr Widerstand hervorrufen.

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