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■ Vorerst kein gesamtdeutsches PEN-ZentrumBleierne Zeit in Mainz

Im Zuge der allgemeinen Politikverdrossenheit scheint es abgemachte Sache, daß Politiker die entscheidungsunfähigsten Entscheidungsträger der Republik sind. Seit der diesjährigen Jahrestagung des deutschen PEN West muß man umdenken: Die Bank im Klub der Dichter, Essayisten und Novellisten ist länger als die in Bonn, was nicht zuletzt mit denen zu tun hat, die sich auf ihr herumdrücken: Da gibt es sprachlose, aber freundlich anwesende Jungliteraten; DDR-Dissidenten, die ihre Dissidentenrolle ins nächste Jahrtausend konservieren und in jedem Ostschriftsteller einen potentiellen Stasimitarbeiter wittern; einen mitgenommenen Ex-Präsidenten, Gert Heidenreich, der nach Ungeschicklichkeiten in der Amtsführung die Rolle des weisen Staatsmannes probt; und eine neue Präsidentin, Ingrid Bachér, die noch vor der ersten Amtshandlung mitgenommener wirkt als ihr Vorgänger nach seiner letzten.

Angetreten war man, eine der schwierigsten Situationen des deutschen Nachkriegs-PEN wenigstens ansatzweise zu diskutieren und die Weichen für eine mögliche Zusammenführung der beiden Clubdependancen in Ost und West zu stellen. Als am Samstag noch einmal gemeinsam gespeist wurde, war nichts geschehen, und die Gräben waren tiefer als zuvor. Lediglich eines war klar: Die meisten Mitglieder des deutschen West-PEN wollen mit denen im Osten nichts zu tun haben. Wenn Carola Stern (eine der rühmlichen Ausnahmen, die für Gespräche votierte) betont, sie würde ihre Ost-Kollegen gerne überhaupt erst einmal kennenlernen, sagt das alles über die Mainzer bleierne Zeit. Die wenigsten im West-PEN kennen die Namen und möglichen Verstrickungen ihrer Ost-Kollegen, schreiben ihnen aber trotzdem ins Stammbuch, sie sollen ihren Klub zuerst einmal reinigen, bevor man sich zu Gesprächen herabläßt.

Daß der eine oder andere noch Leichen im Keller haben dürfte, obwohl die Hälfte der 150 Ost-Mitglieder nach der Vereinigung neu hinzugewählt wurde, steht dabei außer Frage. Fraglich dagegen ist, woher westdeutsche PEN-Mitglieder die unerschütterliche Überzeugung nehmen, ihre Keller seien leichenfrei. Thomas von Vegesack vom schwedische PEN-Zentrum verwies als Gast der Tagung zu Recht darauf, der West-PEN habe zu Zeiten der real existierenden DDR die Möglichkeit gehabt, einen Ausschluß des Ost-PEN aus der internationalen Schriftstellergemeinschaft zu beantragen. Daß das niemals geschah, könnte unter anderem damit zu tun haben, daß einige der heutigen Vereinigungsgegner sich damals liebend gerne in die DDR einladen ließen. Ironie der Geschichte: Vor der deutschen Verbrüderung bewegte sich was, heute ist Stillstand eingetreten. Jürgen Berger

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