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Vor hundert Jahren (9)Dolch im Hals

■ Fakir producirte sich vor Aerzten

Stellen Sie sich vor, David Copperfield kommt nach Bremen und zaubert exklusiv vor der Ärztekammer. Oder Siegfried & Roy leiten ein Seminar zur Erbauung und Fortbildung von Medizinern. Unvorstellbar. Nüchtern gibt sich das Heilwesen in der Postmoderne, aufgeschlossen und im weiteren Sinne fürsorglich gab man sich dagegen vor hundert Jahren, hat taz-Mitarbeiterin Anja Robert beim Stöbern im Archiv herausgefunden.

Der unverwundbare Fakir Achmed Aratas producirte sich gstern Abend vor einer Gesellschaft geladener Herren, meist Aerzten. Nachdem er sich durch Einathmung von Dämpfen in einen Zustand versetzt hatte, der ihn die schmerzhaften Proceduren leichter ertragen ließ, begann er mit denselben. Ohne eine Miene zu verziehen, stach er sich große Nadeln und zweischneidige schmale Dolche in die Backen, Arme, Zunge und Hals. Die anwesenden Herren verfolgten voll Spannung die Procedur, und äußerten sich nachher sehr lebhaft untereinander.

Auch denjenigen Damen, welche die Modekrankheit, die Nervosität, nicht gar zu sehr in ihre drückenden Fesseln geschlagen, galuben wir getrost einen Besuch der Vorstellung empfehlen zu dürfen. Bremer Courier, 17.2.1897

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