■ Vor fünf Jahren wurde der Journalist Scotland getötet. Lehren für Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien: Nur die Wahrheit, oder was?
Langsam habe ich es satt, die Kriegsberichterstatter ständig anpissen zu lassen. Ich könnte die Kritik à la Peter Handtke oder Mira Beham als völlig verfehlt abtun. Und mich nicht mehr darum kümmern. Sie weckt jedoch auch Erinnerungen an jene Reporter, die nicht mehr am Leben sind. Im Gegensatz zu jenen, die von ihren sicheren Schreibtischen aus ihre rudimentären Kenntnisse oder ihre bewußt ausgestreuten Ideologien als „Wahrheit“ ausgeben, haben mehr als 70 KollegInnen vor Ort ihren Willen, die Öffentlichkeit über das Geschehen zu informieren, mit dem Leben bezahlt.
Die Suche nach „Wahrheit“ war und ist bis heute nicht ungefährlich. Dazu mußten die anfänglich meist kriegsunerfahrenen ReporterInnen einige Lektionen lernen. Egon Scotland, Journalist der Süddeutschen Zeitung, dessen Todestag sich jetzt zum fünftenmal jährt, war nicht der erste, der in dem Krieg in Ex-Jugoslawien getötet wurde. Sein Tod enthielt über die menschliche Erschütterung hinaus eine allgemeine Lehre: Er warf ein Schlaglicht auf das Verhältnis der Kriegführenden zur Presse. Anfänglich glaubten viele KollegInnen, die auf den Fahrzeugen gut sichtbar angebrachten Aufkleber „Presse“ würden sie schützen vor den Angriffen der Kriegsparteien. Nach dem Tode Egon Scotlands tauchten damals, im Sommer 1991, die ersten Zweifel daran auf. Vor allem von serbischer Seite aus nahmen Heckenschützen Pressefahrzeuge aufs Korn, sogar von Kampfhubschraubern aus wurden Journalisten beschossen. Die Aggressoren wollten keine Zeugen.
Daß ihre Angriffe nicht nur gegen die kroatische Bevölkerung gerichtet waren, sondern auch gegen die Presse, gegen die Berichterstattung, war im Sommer 1991 für viele Reporter die erste Lektion in diesem Krieg. Die zweite folgte sogleich. Im Herbst 1991 verschwanden in Slawonien drei russische Reporter der damaligen sowjetischen Regierungszeitung Iswestija. Sie sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Man weiß lediglich, daß sie von serbischen Kämpfern festgenommen worden sind. Und daß sie wahrheitsgemäß über den Krieg berichtet hatten. Rußland begann sich damals auf die Seite Belgrads zu stellen. Die zweite Lektion lautete also: Vertraue nicht auf Hilfe von Politikern des eigenen Landes oder auf jene der internationalen Institutionen. Es sind übergeordnete Interessen im Spiel. Und JournalistInnen können in diesem Spiel zerrieben werden. Sicherlich. Viele KriegsreporterInnen fanden einen „normalen“ Kriegstod. Sie fuhren auf Minen oder wurden durch Granaten getötet. Wie Ivo Standeker, der für das slowenische Wochenmagazin Mladina und für die taz aus Vukovar, Dubrovnik und Sarajevo berichtet hatte. Granatsplitter durchsiebten seinen ungeschützten Körper, damals, im Sommer 1992, als der Belagerungsring um Sarajevo undurchlässig geworden war. Er war während eines Granatangriffs ins Freie gestürzt. Selbst zu sehen, was passiert, ist Reporterpflicht.
Die dritte Lektion lautete also: Sei vorsichtig, benütze eine Bleiweste und einen Helm! Fahr in gepanzerten Autos! Manche Redaktionen konnten oder wollten sich eine solche Ausgabe nicht leisten – schließlich kostete ein solches Auto damals mindestens 1.000 Mark am Tag. Die wenigsten JournalistInnen verfügten zudem über die speziellen Versicherungen für Kriegsgebiete – nicht nur in Deutschland weigern sich ja die üblichen Krankenversicherungen, für Kriegsverletzungen aufzukommen. Viele freie JournalistInnen, vor allem auch Fotoreporter, gingen bewußt die Risiken ein. Der Krieg zieht Wagemutige und sicherlich auch unseriöse Zeitgenossen an. Ohne ein Quentchen Abendteurerblut jedoch kann niemand da bestehen. Und ohne Vorsicht. So kamen ab 1993 vor allem KollegInnen, die mal schnell von ihren Redaktionen aus dem normalen Alltagsstreß losgeschickt wurden, die zu Schaden kamen. Dafür kann keine Kriegspartei verantwortlich gemacht werden.
Wohl aber dafür, die freie Berichterstattung zu behindern. Zunehmend wurden Sicherheitsgründe vorgeschoben, um den Zugang zu bestimmten Gebieten zu verhindern. In jene Regionen Bosniens zu fahren, in denen serbische Extremisten „ethnisch säuberten“, in denen große Verbrechen begangen wurden, war selbstredend schon 1992 schwierig und in jedem Fall riskant. Nicht selten bedrohten örtliche Milizen oder Polizisten die ReporterInnen. Das Ausmaß eines Massakers hatte im Frühjahr 1995 der bewußte Angriff der serbischen Belagerer auf das Fernsehgebäude von Sarajevo, von wo auch die ausländischen Stationen berichteten. Unliebsame ReporterInnen erhielten von Belgrad keine Visa mehr, nicht einmal den als „freundlich“ eingestuften ReporterInnen gelang es, die ostbosnischen Enklaven zu besuchen. Niemand durfte nach Srebrenica. Niemand konnte direkt berichten.
Mit dem Krieg im Kriege, ab 1993, verhielten sich die kroatischen Behörden in Bosnien der Presse gegenüber ähnlich. Vor allem dort, wo Konzentrationslager eingerichtet waren, wie bei Mostar und Čapljina. Kroaten und die Bosniaken wollten sich auch später bei ihrer Gegenoffensive 1995 nur ungern in die Karten schauen lassen, über die brennenden Häuser in der Krajina und bei Bosanski Petrovać sollte anfangs nicht berichtet werden. Kroatische Soldaten schossen Anfang August auf BBC- Reporter.
Wer sowohl von serbischer wie auch von kroatischer Seite mit dem Tode bedroht wurde, weiß, wovon er spricht, wenn über Manipulationen, über die freie Berichterstattung, über die Verantwortlichen „geredet wird. Auch über Rechtfertigungen. Über Ideologien. Über Interessen. Vorwürfe, manipuliert zu sein, nicht richtig recherchiert zu haben. All das klingt hohl, wenn es von Leuten kommt, die lediglich geleitete Interessen haben. Daß sie damit nationale Mythen und die Ideologien der Kriegsverbrecher stützen, kehrt als Vorwurf zurück. Die Wahrheit dagegen ist erfahrbar – und ganz konkret. Erich Rathfelder
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