Vor dem Champions-League-Finale: "Boah! Das ist mein Torwart!"
Víctor Valdés steht seit acht Jahren im Tor des FC Barcelona. Er hat viele Gegner besiegt - und seine Angst. Am Samstag spielt er im Finale der Champions League.
Pep Guardiola jubelte scheinbar in die falsche Richtung. Im gegnerischen Strafraum feierten die Fußballer des FC Barcelona das entscheidende Tor gegen Real Madrid im Champions-League-Halbfinale, doch Barças Trainer Guardiola zeigte begeistert zum anderen Tor. Dort stand, einsam wie immer, wenn die eigene Elf ein Tor begeht, sein Torhüter Víctor Valdés. 100.000 Fans hatten ein hinreißendes Tor von Flügelstürmer Pedro erlebt. Guardiola schrieb es seinem Torwart gut.
Unter Druck hatte Valdés den Ball aus seinem Strafraum heraus, über Reals Xabi Alonso hinweg zu einem 20 Meter entfernten Mitspieler gespielt. Der Torwart hatte mit einem Traumpass den Spielzug gestartet, den Pedro vor dem anderen Tor vollendete. Schlagartig verstand jeder, warum es heißt, Torwart bei Barça sei ein spezieller Job.
In der Elf des schwingenden Angriffsfußballs "gibt es Tage, da spiele ich mehr mit dem Fuß als mit der Hand", sagt Valdés. Nach Barças Offensivplan muss er weiter vor dem Tor als fast alle anderen Torhüter stehen, um mit gewagten Pässen das Pressing des Gegners zu durchbrechen sowie Konterbälle in den Rücken seiner Abwehr abzufangen. So weit vor dem Tor stehe ein Torwart oft "am Rande des Abgrunds", sagt er vor seinem dritten Champions-League-Finale in sechs Jahren mit dem FC Barcelona, am Samstag in Wembley gegen Manchester United.
Seit acht Jahren ist Valdés Barças Nummer eins. Er nimmt auf einem Sofa in Barças Sportstadt Platz, und was irgendwann auffällt, ist der kleine Finger der linken Hand. Valdés kann ihn nicht mehr strecken und kaum noch beugen. Er hätte ihn schienen müssen, nachdem Sehnen und Kapseln gerissen waren. Er stabilisierte ihn aber nur mit Tapeverband. Ein Fußballprofi kennt keine Pause, so verkrüppelte der Finger. Torhüter arbeiten mit den Händen, aber sie brauchen nicht alle zehn Finger. Der Daumen sowie Zeige- und Mittelfinger sorgen für den Griff.
Balljunge hinter Kahns Tor
Valdés scheint erfreut über das Interview mit einem deutschen Reporter. Endlich kann er einmal seine Bewunderung für die deutsche Torwartschule mitteilen. Er war 14, als Bayern München 1996 im Uefa-Cup in Barcelona spielte. Er stand als Balljunge hinter Oliver Kahns Tor. "Ich sah seine Paraden, und es durchfuhr mich: 'Boah! Das ist mein Torwart!' Fortan war Kahn mein Idol." Er ignorierte, dass dem klassischen deutschen Torhüter wie Kahn genau jene Fähigkeiten fehlten, die es in Barças Tor braucht, etwa das vorausschauende Spiel. Wer ein Vorbild anbetet, lässt sich nicht von rationalen Argumenten stören. Und gerade in jungen Jahren half es Valdés, sich an Torwarthelden festzuhalten, damit er nicht am Torwartsein zerbrach.
"Am Samstag ist wieder ein Spiel - der Gedanke war der Horror." Die Angst des Torwarts vor einem Fehler würgte ihn. Äußerlich wurde er der eiskalte Mann in schwarzer Lederjacke, die Haare galeerenkurz. So versuchte er, die Angst zu verstecken. Als er mit 28 in einem TV-Interview zum ersten Mal darüber reden wollte, benötigten sie drei Tage für das Interview. Er musste erst wieder lernen, sich zu öffnen.
In einem Interview für die Robert-Enke-Biografie gelang das ganz gut. Valdés und der spätere deutsche Nationaltorwart stritten 2002 um Barças Nummer eins. Valdés fand, "Robert war besser als ich." Enke glaubte, "der Víctor kennt keine Selbstzweifel." So gut täuschten sie sich mit ihrer coolen Fassade gegenseitig. In Wahrheit durchlebte Enke damals seine erste klinische Depression. Wie oft dachte er sich, warum kann ich nicht so stoisch kühl wie Víctor sein. Von den Depressionen 2009 in den Tod getrieben, erfuhr er nie mehr, dass dieser Valdés wegen seiner Torwartangst eine Psychotherapie hinter sich hatte.
"Mein Leben war so voller Druck, dass ich keine Ruhe fand", sagt Valdés. Die Therapie mit 18 half ihm, als Torwart weiter zu funktionieren. Befreit von der allgegenwärtigen Anspannung hat ihn erst das Älterwerden, die Geburt seines Sohnes Dylan, das Selbstvertrauen der Fußballerfolge. Heute, mit 29, versteckt er sich nicht mehr ständig in Lederjacken. Nur seine kleinen Marotten wird er nicht mehr los. So glaubt Víctor Valdés, er müsse auch morgen in Wembley auf jeden Fall das grüne oder schwarze, auf keinen Fall aber das graue Torwarttrikot tragen, wolle Barça gewinnen.
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