: »Voneinander lernen«
■ Besetzer Ost rufen zur Neuorientierung auf/ Heute wollen sich Ostautonome im Kunsthaus Tacheles zu einer ersten Lagebestimmung treffen
Ost-Berlin. Offensichtlich scheint sich in Ost-Berlin eine Differenzierung in der Besetzerszene abzuzeichnen. In einem der taz vorliegenden Aufruf wenden sich dem Kunsthaus Tacheles nahestehende Besetzer gegen »westliche Vormundschaft«. Dies sei, so der Aufruf, »ein Zustand, der sich durch alle Bevölkerungsschichten in gleichem Maße zieht«. Mit eindringlichen Worten wenden sich die Verfasser des Papiers gegen die Zunahme von Gewalt auch in der autonomen Szene: »Wir lassen uns nicht weiter mit Randale- und Schlägertrupps über einen Kamm scheren. Faschos und Nazis kriegen durch Randale und Gewalt einen Fuß in unsere Tür. Laßt die rechten links liegen, kämpft mit Geist und Verstand, und schafft eine neue Alternative zur Gewalt, bevor diese sich gegen uns selbst richtet.«
Die Verfasser des Aufrufes, die — selbst Opfer eines Faschoüberfalls — schon vor einiger Zeit versuchten, mit Rechtsradikalen in eine politische Diskussion zu treten, um Gewalt zu verhindern, gehen dann auf die verunglückte »Antifaschistische Demonstration« in der Weidlingstraße ein: »Autonome der DDR — in der Weitlingstraße gab es 19 verletzte antifaschistisch gesinnte Polizisten, ein Werk das jedes Faschisten würdig wäre. Wollten wir das? Die Verhandlungen in unseren Häusern stagnieren, weil nicht wir das Wort führen, sondern Wessis dem Besetzerrat vorsitzen, die sich sinnlos streiten, anstatt endlich Ergebnisse zu erzielen.« Die Konfrontation zwischen und Ost- und Westbesetzern gehe mittlerweile »so weit, daß Westautonome Ostautonome verprügeln«. Die Verfasser des Aufrufs fordern daher die »Neugründung von Verhandlungsgremien unter Führung von Ostautonomen.« Die Westautonomen werden aufgefordert, sich den Ostlern anzuschließen, deren andersartige Erfahrungen des Widerstandes jedoch zu akzeptieren. »Wir können nur voneinander lernen, wenn wir uns gegenseitig akzeptieren«, heißt es abschließend in dem Papier.
Heute um 20 Uhr soll im Kunsthaus Tacheles ein Treffen aller Interessierter stattfinden, um »neue Verhandlungs- und Beratungsgrundlagen zu finden«. ok
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