■ Von guten und schlechten Finanzjongleuren: War Nick Leeson Sozialist?
Vor zwanzig Jahren hätte man von der Charaktermaske des Kapitals gesprochen und den Fall Nick Leeson als Beweis für die Brutalität des Marktes zu den Akten gelegt. Im Jahr 1995 aber wird ein kleiner britischer Börsenmakler, der an den Tücken des Systems scheiternd eine 200 Jahre alte Bank vor die Wand fährt, zum internationalen Skandal, zur Vorlage für Bücher und – die Gerüchte wollen nicht verstummen – für einen Hollywood-Film mit Hugh Grant.
Warum? Erstens: Weil das kapitalistischen System der riesigen weltweiten Finanztransfers nicht mehr grundsätzlich in Frage steht, muß das Versagen innerhalb dieses Systems umso mehr Staub aufwirbeln. Der Handel mit sogenannten Futures ist eine legale Wette auf den zukünftigen Preis einer Ware. Technisch unterscheidet sie sich kaum von der in Großbritannien gängigen Pferdewette. Solche Wetten kann man verlieren, bei entsprechend großen Einsätzen können sich auch reiche Menschen beim Wetten ruinieren.
Aber niemand ist gezwungen, sein Geld in Futures anzulegen, sich an diesem riskanten Spiel zu beteiligen. Eben da liegt das Leeson-Problem. Finanzjongleure leben davon, daß die Kapitalanleger ihnen vertrauen und weltweit mitspielen. Das tun sie aber nur, wenn ihnen das Bild vermittelt wird, bei dieser Art der Pferdewette könne nur gewonnen werden. Sie brauchen einen Vorturner, George Soros, der erfolgreich gegen die europäischen Zentralbanken anspekuliert und Milliarden gewinnt. Wie philantrop Soros das gewonnene Geld anschließend ausgibt, ist den Spekulanten egal. Versager bringen die Innung in Verruf, daher die Aufregung.
Zweitens: Allen, die nicht in Futures spekulieren können oder wollen, muß das Scheitern des Nick Leeson gerade recht kommen. Auch philantrope Spekulanten wie Soros erleichtern die Staatsbanken, greifen letztlich in die Steuerkasse von Waigel und Co. Reichtum wird von denen, die Steuern zahlen, zu denen, die spekulieren können, umverteilt.
Der kleine Börsenhändler Leeson hat umgekehrt den Reichtum der Barings-Anleger umverteilt – auch zugunsten diverser Staatskassen. Und er hat dafür gesorgt, daß Anlegern das Investieren in reale Fabriken gegenüber den „Pferdewetten“ wieder attraktiver erscheinen muß. Die Behörden in Singapur jedenfalls konnten sich am Rande des Prozesses die Bemerkung nicht verkneifen, daß sie beim Wirken des Nick Leeson kein Geld verloren haben. Der kleine Nick ein Sozialist? Hermann-Josef Tenhagen
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