: Von draus‘ vom Walde komm‘ ich her
Jeder dritte deutsche Weihnachtsbaum kommt aus dem Sauerland. Noch. Rudi Dutschkes Wahlheimat Dänemark holt auf. Und irgendwie spielen beim Nadelgrün auch polnische Waldarbeiter, kaukasische Samen, amerikanische Urwälder und finnische Botaniker eine Rolle
VON CHRISTOPH SCHURIAN
Was soll nur aus dem Sauerland werden? Der heimische Weihnachtsbaum verliert stark an Marktanteilen, meldet die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Stammten 2002 noch 90 Prozent der im Land verkauften Weihnachtsbäume aus deutschem Anbau, sind es 2004 nur noch 70 Prozent. Den Markt eroberten Bäume aus Dänemark und aus Polen. Auch die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft deutscher Waldbesitzer, Ute Seeling, warnt: „Wir sehen den Anteil der Bäume aus anderen Ländern sehr kritisch“. Für Baumkulturen seien die Bedingungen in Deutschland schwierig, sagt die Forstwirtin: „Wir können nicht mithalten“ – die Umweltkriterien seien zu scharf, die Lohnkosten zu hoch: „All das macht die Produktion teuer“, so Seeling. Ihre Arbeitsgemeinschaft vertritt die Interessen von 1,3 Millionen Waldbesitzern. Steckt nach Handys, Autos oder Textilindustrie auch der deutsche Weihnachtsbaum in der globalen Falle?
Jeder dritte der jährlich etwa 22 Millionen heimischen Christbäume auf dem Markt wird im Sauerland geschlagen. Für die Landwirtschaftskammer NRW kümmert sich Kristof Köhler bei der Kreisstelle in Meschede ums Weihnachtsgewächs: „Im Sauerland werden sieben, acht Millionen Bäume produziert – das ist eine Hausnummer“, sagt Köhler. Von polnischen Bäumen will er nichts gehört haben. Früher sei das anders gewesen, erinnert sich der Fachreferent. Deutsche Bäume seien mit einem Gesundheitszeugnis exportiert worden. Der Anbau von Weihnachtsbäumen sei ohnehin eine sehr risikoreiche Sache – das liege aber nicht an dänischen Konkurrenten, sondern am auswärtigen Saatgut.
Die Samen der Blaufichte stammen aus den Urwäldern Nordamerikas, die der Nordmann-Tanne aus dem Kaukasus. Laut Köhler fehle eine „züchterische Betreuung, eine klare Linie“. Weil sich die Saat aufspalte, wisse man nicht, ob die Bäume in jungen Jahren gut aussehen – Weihnachtsbäume werden in der Baumjugend, also im Alter von zehn Jahren „geerntet“.
Zudem habe die Landschaftsbehörde rund um Meschede einen regionalen Landschaftsplan aufgestellt: Talnah oder am Waldrand sind Christbaumkulturen untersagt – so müssten Baumwirte oft auf steile Hanglagen ausweichen. „Schwierige Produktionsbedingungen“, sagt Köhler. Und die Konkurrenz aus Dänemark?
Eigentlich sei das Sauerland doch im Vorteil, meint Köhler: „Das Ruhrgebiet direkt vor der Haustür braucht die meisten Bäume“, so Köhler. Die dänischen Weihnachtsbäume wüchsen auf Sandböden, darunter stehe das Grundwasser sehr nah an der Oberfläche – „die können sich da keine Pestizide leisten!“ Außerdem sei es in Dänemark verboten, ausländische Erntehelfer einzusetzen: „Arbeit geht zunächst an Dänen“, sagt Köhler.
Im Sauerland arbeiten vor allem Polen. Im vorherigen Jahr waren bei der Arbeitsagentur Meschede 984 ausländische Waldarbeiter für die Baumernte gemeldet: „98 Prozent stammen aus Polen“, sagt Gerhard Reinert, Sprecher der Arbeitsagentur Meschede: Die anderen kamen aus Rumänien und der Slowakei – „auch ein Türke war dabei“. 2004 werden etwa 1.000 Erntehelfer eingesetzt. Ihr Mindestlohn beträgt laut Reinert 6,70 Euro, „abzüglich Kost und Logis“.
Woher ein Weihnachtsbaum stammt, ist gar nicht leicht zu erkennen: Jürgen Winkelmann, Geschäftsführer des Landesverbands Gartenbau in Dortmund, will von Baumimporten gehört haben, die in Polen wuchsen, aber dort von dänischen Züchtern angebaut wurden.
Einer geschickten Tarnung bedienen sich auch die dänischen Edelbäume. An ihrem Verkaufsrenner hängt ein von der Europäischen Union ko-finanziertes Qualitätssiegel. Es weist die dichte, grüne, weiche und kaum nadelnde Edeltanne als „original Nordmann-Tanne“ aus. Ein Baum von den Nordmännern? Nein. Die Nordmann-Tanne wurde vor 164 Jahren von einem Botaniker im Kaukasus entdeckt und erstmals bestimmt. Der hieß Alexander von Nordmann und war ein Finne.
Um die weihnachtliche Weltreise versöhnlich abzurunden: Die Heimat der Blaufichte, die Vereinigten Staaten, sind Schuld daran, dass es dem Baumgewerbe trotz Verlust von Marktanteilen mit einem stabilen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro recht gut geht. „Der Trend geht wohl zum Zweitbaum“, sagt Kristof Köhler aus Meschede. In den letzten Jahren sei Schmuckwut über den Atlantik geschwappt. Hausbesitzer stellten im Advent einen Christbaum in den Vorgarten. Fürs Wohnzimmer wird ein zweiter Baum gekauft.
Für die „Weihnachtsbaum- und Schnittgrünproduzenten“ aus dem Sauerland bleibt ihr Gewerbe ein gutes Geschäft: Der laufende Meter Blaufichte, der Samen aus pazifischen Nebelwäldern, gehegt von westfälischen Weihnachtsbaumbauern, geschlagen von polnischen Waldarbeitern und verkauft von europäischen Baumarktketten, kostete 2004 zehn Euro.