Von der Zahnpastafabrik zum Superkonzern

Im Herbst 1987 eröffnete die südkoreanische Firmengruppe Lucky-Goldstar ihre erste Fabrik in der BRD / Innerhalb von 40 Jahren ist das Konglomerat zum führenden Elektronik- und Chemieproduzenten aufgestiegen / Statt auf billige Löhne allein setzt das Management auf Marktnähe und Qualität / Strategie: weltweite Expansion  ■ Aus Seoul Nina Boschmann

„1986 war ein Meilenstein für die Ausfuhren von Goldstar. Wir verkaufen inzwischen rund um den Globus, eine Tatsache, die die Errichtung eines zweiten Produktionsstandortes in Übersee notwendig machte...“ (Jahresbericht des Lucky-Goldstar-Konzerns 1986)

Südkoreanische Großunternehmen haben Sorgen, von denen deutsche und amerikanische Manager nur träumen können. Nicht die Steigerung von Produktion, Absatz, Export und Erlösen bereitet ihnen Kopfzerbrechen, sondern die Frage, wie sie sich möglichst unauffällig bei den weltweit führenden Multis einreihen können, ohne allzu viel Neid oder sonstwie schädliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Die Lösung lautet: Direktinvestitionen in Übersee, das heißt vor allem in den USA und Europa, in geringerem Umfang aber auch in Asien, Lateinamerika und Nahost. Galt Südkorea im antiimperialistisch-solidaritätsbewegten Bewußtsein bislang als einer der Paradefälle eines Billiglohnlandes, das durch die Überausbeutung seiner Arbeitskräfte ausländische Firmen anzieht, so werden sich in den nächsten Jahren immer mehr „Chaebol“, wie die rund ein Dutzend riesigen Mischkonzerne in Korea heißen, ihrerseits Produktionsstätten im Ausland errichten. Eine Vorreiterrolle kommt hierbei der Lucky-Goldstar-Gruppe zu, die als erste den Sprung nach Europa wagte: Im Herbst letzten Jahres wurde im rheinland-pfälzischen Worms eine Goldstar-Fabrik für die Montage von jährlich 300.000 Farbfernsehern und 400.000 Videogeräten in Betrieb genommen.

Aber was heißt hier Wagnis? Für die Macher in der blitzblanknagelneuen 34-stöckigen Konzernzentrale im teuersten Seouler Geschäftsviertel Youido ist das Engagement in Worms eher die logische Fortsetzung dessen, was man immer schon gemacht hat. Seit das Unternehmen vor gut 40 Jahren 1947 von dem Tuchhändler Koo In-Hwoi als „Lucky Chemical Company“ gegründet wurde, gaben sich zivilisatorische Errungenschaften und Rekorde die Klinke in die Hand. Die Erfolgsgeschichte begann mit Hautcreme für Frauen, später ersetzte Luckys Zahnpasta in Koreas Familien den vorher üblichen gemeinsamen Salztopf, und 1952 hielten die ersten Plastikgerätschaften Einzug in die Haushalte der kriegszerstörten Halbinsel. 1958 wurde die Goldstar-Firma von Lucky abgetrennt und produzierte alsbald das erste genuin koreanische Radio und das erste koreanische Telefon.

Inzwischen umfaßt die Lucky- Goldstar-Gruppe 29 Firmen, darunter Chemie- und Computerfabriken ebenso wie Versicherungsgesellschaften und Ingenieurbüros. Lucky Ltd. ist der größte Chemiekonzern Koreas mit einer Palette von mehr als 6.000 verschiedenen Produkten; Lucky betreibt die größte private Ölraffinerie des Landes, und Lucky Development Co Ltd. ist der führende Generalunternehmer in der Baubranche.

In zwei großen Forschungskomplexen außerhalb Seouls basteln 2.500 Angestellte an der Entwicklung von Hepatitis B-Impfstoffen und nichttoxischen Insektiziden oder bemühen sich darum, daß in Zukunft weniger als die bislang 30 Prozent der in den Goldstar-Computern enthaltenen Bauteile aus Japan importiert werden müssen. 470 Millionen Dollar oder fünf Prozent des Umsatzes fließen bei Lucky Goldstar zur Zeit in Foschung und Entwicklung, mehr als bei irgendeinem anderen Unternehmen in Korea.

Avantgarde in Übersee

Auch im Überseegeschäft hatte Lucky-Goldstar stets die Nase vorn. 18 Joint Venture- und 30 Lizenzabkommen mit Firmen wie Siemens, Honeywell und Mitsubishi brachten und bringen den Senkrechtstarter technologisch auf den neuesten Stand, der starke Yen erleichterte es Goldstar, im Export von „Consumer Electronics“ in die Fußstapfen der ungeliebten Japaner zu treten. Heute reicht die Verbreitung von Goldstar-Produkten weit über die seines Namens hinaus. Mehrere US- Einzelhandelsketten wie „Sears“ und „J.C. Penny“ lassen ihre unter eigener Marke verkauften Haushaltsgeräte von Goldstar produzieren; seit 1985 liefert der Chaebol auch Telexcomputer und Drucker für IBM/USA.

Inzwischen ist Goldstar sogar selbst zum Technologielieferanten für die „hinterherhinkenden“ südeuropäischen Nationen geworden. Im Juni 1986 wurde ein Technologietransferabkommen mit der türkischen Firma Vestel abgeschlossen (für Stereoanlagen, Fernseher und Computer), ein ähnlicher Vertrag besteht mit Spanien.

Solche Wachstumsraten lassen bei Konkurrenten und betroffenen Staaten die Alarmglocken klingeln, und spätestens ein 1984 eingeleitetes Anti-Dumpingverfahren für in die USA eingeführte Farbfernseher warnte das Goldstar-Management, daß ihnen nicht, wie weiland zuvor den Japanern, ein Vierteljahrhundert ungehinderter Marktzugang beschieden sein würde. Vorausschauend, wie man am Han-Fluß nun mal ist, eröffnete das Konglomerat 1982 seine erste Fabrik für Farbfernseher im amerikanischen Huntsville/Alabama. Inzwischen sind es drei – und rund ein Fünftel aller von Goldstar hergestellten Videogeräte, Farbfernseher und Mikrowellenherde erblicken in Alabama das Licht vom Band der Welt.

Kunden wie Beschäftigte sind es offenbar zufrieden. Die Reklamationsraten sind minimal, und der Absentismus, die Zahl derer, die ihrem Arbeitsplatz, warum auch immer, fernbleiben, liegt bei einem Prozent gegenüber fünf Prozent im US-Durchschnitt.

Arbeitsplätze für Rheinland-Pfalz?

„Inwha“, was so viel bedeutet wie „menschliche Harmonie“, ist das oberste Management-Prinzip in der Konzernzentrale in Seoul. Den rund 70.000 festangestellten Lucky-Goldstar-Beschäftigten werden – im Gegensatz etwa zur berüchtigten Drehtürpolitik des Heuerns und Feuerns bei Hyundai – lebenslange Anstellung und verhältnismäßig großzügige Bonusregelungen geboten. Mit „Inwha“ soll denn auch das neue Werk in Worms zum Erfolg geführt werden. Dazu der Direktor für Internationale Finanzen, Kim Sang-Won: „In einer Zeit, in der Protektionismus und die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zunehmen, dachten wir, wir sollten nicht nur Güter exportieren, sondern uns auch nach neuen Tätigkeitsfeldern im Ausland umsehen. Vielleicht kann man einander ja helfen. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz war über diese Idee hocherfreut und hat uns auch finanziell unter die Arme gegriffen, denn dieser Bundesstaat hat ja wohl eine recht hohe Arbeitslosigkeit.“

Das deutsche Lohnniveau und die deutschen Gewerkschaften schrecken das Goldstar-Management dabei offenbar weniger als man vermuten könnte. Noch einmal Kim Sang-Won: „Natürlich müssen wir Kompromisse machen, man kann die lokale Realität schließlich nicht ignorieren. Aber unser Managing-Direktor in Worms hat lange in Deutschland gelebt, er wird wissen, wo und wann wir verhandeln müssen. Ob die Produktion profitabel sein wird, wissen wir noch nicht. Sicher sind die Gewinne wegen der hohen Löhne niedriger in Europa, aber die Transportkosten sind es auch, und wir haben den Vorteil größerer Marktnähe. In der Vergangenheit haben wir uns sehr stark auf den US-Konsumgütermarkt gestützt. Jetzt müssen wir das Risiko ein bißchen mehr verteilen und neue Märkte fin- den.“

In den USA hat Goldstar mit einer Exportoffensive begonnen und dann die Zweigwerke nachgeschoben. Doch in Europa, wo „der Handel durch sehr wirkungsvolle Verwaltungsrichtlinien kontrolliert wird“, so Kim, fängt man besser gleich mit Direktinvestitionen an. Eine aus koreanischer Sicht überzeugende Strategie. Das größte „Risiko“ für Goldstar, so der Far Estern Economic Review im November, sei das „konservative Management“: Zwar hätten sich die Umsätze von Lucky-Goldstar von 1982 bis 1986 verdreifacht, aber die Nettogewinne seien „nur“ um das Doppelte gestiegen. Und das liege unter anderen daran, daß auch heute noch ein Drittel der 29 Lucky Goldstar-Unternehmen von Mitgliedern der Gründerfamilien Koo und Huh, den sogenannten Königshäusern, gemanagt werde, was die Eliminierung unprofitabler Geschäftszweige erschwere. Denn: Ein Onkel bleibt immer ein Onkel. Dem kann man nicht einfach seine Fabrik wegnehmen.