Von der Erotik der Rakete: Deine zarte Haut, deine kalten Nippel
Wie die Rakete in der Geschichte und der Literatur Männerfantasien mit tödlich-erotischer Stahlspitze durchbohrt.
Trotz ihrer phallischen Form sind Raketen weiblich. "Die ging ab wie eine Rakete," sagen Männer gerne, wenn sie über eine Frau reden, mit der ihnen das Vögeln Spaß machte.
Der "Vater aller Raketen" - Wernher von Braun - galt dann auch als ein großer Frauenheld. Kürzlich kam jedoch heraus, dass er ein schlechter Raketenbauer war: Eine Forscherin fand im Nachlass eines Mathematikers, der in Peenemünde an der Entwicklung der Vergeltungswaffe V 2 mitarbeitete, Hinweise darauf, dass von Braun nach mehreren Fehlstarts gar nicht mehr an der Weiterentwicklung der Rakete beteiligt war.
Die Amerikaner hatten ihn und sein Nazi-Team 1945 als vermeintliche "Experts" verpflichtet, zukünftig für sie weiter Raketen zu bauen, während den Sowjets nur die zweite Riege der "Peenemünder" - eine Gruppe um den Lenksystemtechniker Helmut Gröttrup - in die Hände gefallen war. Aber diese Riege war besser, denn die erste ist im deutschen Ingenieurwesen "bloß" für die Repräsentation und den Kontakt zu den vorgesetzten Dienststellen zuständig. Und so gelang es den Sowjets, den Amerikanern 1957 einen "Sputnikschock" zu bescheren und dann auch noch den ersten Menschen ins All zu schießen.
In Peenemünde wurde kürzlich eine Sonderausstellung über "Juri Gagarin - 50 Jahre bemannte Raumfahrt" eröffnet. Seit der Wende ist die dortige V 2-Versuchsanlage ein "Historisch-technisches Museum" - und ein Publikumsmagnet ersten Ranges. "Einerseits hinsichtlich des ersten Starts einer Rakete ins All im Oktober 1942 als Geburtsort der Weltraumfahrt gefeiert, andererseits von 1936 bis 1945 Produktionsstätte für Terrorwaffen und Massenvernichtungsmittel", heißt es dazu im "Museen-Info" von Mecklenburg-Vorpommern. "Holidaycheck" rät Besuchern: "Zeit und Geduld mitbringen! Könnte für Kinder langweilig werden."
Auch für Frauen, die in Begleitung von Männern Peenemünde besuchen: Während sie gelangweilt oder ungeduldig auf den Bänken sitzen, sind jene hin und weg von der Raketentechnik und streichen zärtlich über die Haut des dort ausgestellten V 2-Nachbaus. Die glatte, kühle Erotik eines für den einmaligen Abschuss in den Himmel vorgesehenen Stahlkörpers macht ost- wie westdeutsche Männer gleich kirre.
Diese Männer können zwar nicht ficken – aber töten
Zuletzt hat der Dichter und Sänger Jewgeni Jewtuschenko (in: "Stirb nicht vor deiner Zeit") auf dieses merkwürdige Objekt männlich-militärischer Begierden hingewiesen - und einen am Putsch gegen Gorbatschow beteiligten Afghanistan-Veteranen, der ein bekannter sowjetischer Schriftsteller geworden war, zitiert: "Ich spürte in der Finsternis an meiner Handfläche den schneeweißen Frauenkörper der Kampfrakete.
Anfangs war sie noch kühl, aber je mehr ich sie streichelte, desto wärmer und wärmer wurde sie, ihre Hüften schienen schwer atmend vor unausgesprochener Leidenschaft zu vergehen, und es schien mir, als würde ich auf dem Körper der Rakete unter meinen Fingerkuppen gleich die Wölbungen der in Erwartung meiner Berührung aufgerichteten Brustwarzen spüren." Der "Frauenversteher" Jewtuschenko zitiert diese Stelle, um, mit Heiner Müller gesprochen, anzudeuten: Diesen Männern - Militärs - ist das Missgeschick passiert, dass sie zwar nicht ficken - aber töten können.
Dem US-Schriftsteller Thomas Pynchon kommt das Verdienst zu, als Erster den Zusammenhang von Männersexualität und Raketentechnologie herausgearbeitet zu haben: Der Held seines Romans "Gravitys Rainbow", Slothrop, wird noch während der Kämpfe um Berlin auf die Spur der Nazi-Wunderwaffe (und eines neuen erektionsfähigen Plastematerials) in Richtung Peenemünde gesetzt, nachdem Geheimdienste der Alliierten herausgefunden haben, dass überall dort, wo Slothrop in London mit einer Frau Geschlechtsverkehr hatte, wenig später eine deutsche V 2-Rakete einschlug.
Was sich wie ein durchgeknallter amerikanischer Roman liest, ist in Wahrheit detailgenaueste Rekonstruktion: Dem ehemaligen Flugzeugingenieur Pynchon stand dafür Archivmaterial zur Verfügung, das erst zwölf Jahre nach Veröffentlichung seines Romans ("Die Enden der Parabel" auf Deutsch) freigegeben wurde. Ihre dokumentarische Bearbeitung durch eine Frau, Linda Hunt, führte dann 1985 dazu, dass einige nach dem Krieg für das US-Militär tätig gewesenen "Peenemünder" nach Deutschland zurückkehren mussten.
Wo er hinkam und Geschlechtsverkehr hatte, regnete es Bomben
Selbst Pynchons kritisch-paranoisches Einstiegskonstrukt einer Deckungsgleichheit zwischen Slothrops privater Sextopografie von London und den dortigen V 2-Einschlägen hat einen quasirealen Hintergrund: das drei Jahre vor seinem Roman veröffentlichte "Selbstporträt" des österreichischen Juden Jakov Lind (1983 im Wagenbach Verlag erschienen). Lind "flüchtete" 1943 mit einem holländischen Pass, in dem er "Overbeek" hieß, auf einem Duisburger Binnenschiff in das Deutsche Reich. Dabei machte er die Entdeckung, dass es überall, wo er hinkam und wo er meist auch Geschlechtsverkehr hatte, Bomben regnete: "Mein bloßes Erscheinen setzte Luftmarschall Harris Geschwader in Bewegung. Ich war der Superagent, im Hirn einen Hochleistungssender mit Richtstrahlen zum alliierten Oberkommando. Diese Wahnvorstellung bestimmte meine Existenz."
Lind-Overbeek muss einen Tripper in Boppard kurieren: Prompt wird Boppard bombardiert, das Gleiche geschieht dann in Koblenz und schließlich in Gießen, wo sämtliche Schutzräume des Krankenhauses getroffen wurden: "In dieser Nacht wurde Gießen ausradiert, und auf meinen Kopf fiel ein Stück Zement von der Größe eines Fingernagels." Ende 1944 wird Lind aus dem Marburger Krankenhaus als gesund entlassen, zusammen mit einem gewissen Kolberg, der Leiter einer metallurgischen Firma ist, die im Auftrag des Luftfahrtministeriums neue Werkstoffe für die Raketenherstellung prüft. Kolberg stellt Lind zunächst in seiner Dillenburger "Baracke Mittelfeld" ein und nimmt ihn anschließend mit nach Berlin ins Reichsluftfahrtministerium, zuletzt nach Hamburg, von wo aus Lind dann nach London emigrierte.
Am Infostand des Peenemünde-Museums erwarb ich das Buch "Insel ohne Leuchtfeuer" von Ruth Kraft, das 1959 in der DDR erschien und dort ein Bestseller war. Die Autorin war 1940 vom Arbeitsdienstlager weg als "Rechnerin" zur Heeresversuchsanstalt nach Peenemünde verpflichtet worden: "Wir lebten dort sehr freizügig und in herrlicher Landschaft. Es bildeten sich Freundeskreise. Viele Männer, Ingenieure und Wissenschaftler waren ja Junggesellen und meist vier bis sechs Jahre älter als die Mädchen." Ein Großteil ihres Buches befasst sich mit den Liebesabenteuern der freiwilligen und dienstverpflichteten Mädchen - auf Partys, Segeltörns in den Greifswalder Bodden, bei Ausflügen zum Festland und Rendezvous am Strand.
Dabei gibt es mitunter erstaunliche Parallelen zu Thomas Pynchons Peenemünde-Roman. Wenn Ruth Kraft ( "Eva") etwa eine nachlassende Verliebtheit mit Begriffen aus der Raketentechnik beschreibt: "Es war wie in einem Leitstrahl, aber jetzt kam die Umlenkung. Was sie noch vor einem halben Jahr in die Mitte getroffen hätte, berührte sie gerade so, wie auf ihrem Millimeterpapier die Tangente die Parabel streift." So viel zum fatalen deutschen Ingenieurdenken.
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