Von der Bürgerrechtlerin bis zum Pornostar: Wie haben Sie den Westen verändert?
Statt immer nur westlichen Einfluss in der früheren DDR zu beleuchten, fragt die taz Ostler, wie sie den Westen verändert haben. Eine Frage, die sich viele von ihnen so noch nie gestellt haben.
Das grüne Ampelmännchen und der grüne Pfeil sind abgelutscht. Dann kommen Beispiele aus dem kulinarischen Bereich. Aber auch die Spreewaldgurken sind nicht mehr das, was sie mal waren. Zu viel Zucker. Selbst die Soljanka ist verwestlicht. Von den Brötchen ganz zu schweigen. Dresdener Stollen, Halberstädter Würstchen und Bautzener Senf - kommen die nicht schon aus China?
Dann fällt ein schwerer Satz: Der Osten war eine Vitaminspritze für den Westen. Jetzt sind die Vitamine aufgebraucht, die lukrativen Spekulationsobjekte sind verteilt. Die Kassen sind leer, und der Westen sieht in weiten Teilen so aus wie der Osten vor zwanzig Jahren. Ja, auf leisen Sohlen ist der derbe Osten in den feinen Westen gekommen, an den Hacken klebte noch die lehmige mecklenburgische Erde, vermischt mit Kuhmist und Hühnerkacke.
Keiner hat es gemerkt, aber plötzlich war er da, der Osten im Westen, und verändert ihn Tag für Tag seit zwanzig Jahren, nimmt ihm die Schminke, macht ihn realer, zeigt ihm seinen Platz in der Welt. Wir haben das hinter uns, was ihr vor euch habt. Ihr könnt von uns lernen.
Die Wirklichkeit ist vorwiegend rau, grob und niederträchtig, aber sie hat ihren eigenen Glanz. Lassen wir uns von ihr beflügeln.
Bärbel Bohley ist Malerin und Bürgerrechtlerin. Geboren 1945 in Berlin, lebt sie heute in Berlin-Prenzlauer Berg
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In der Ost-West-Sondersonntaz beantworten diese Frage Schauspielerin Anna Loos, DDR-Sportreporterlegende Heinz Florian Oertel, Schriftstellerin Ines Geipel, Musiker und Moderator Bürger Lars Dietrich, Musiker Clueso, der früheren GEW-Bundesvorsitzende Eva-Maria Stange, CDU-Politikerin Vera Lengsfeld, Werbeprofi Alexander Mackat, "Alpha-Mädchen"-Autorin Susanne Klinger, Linke-Politiker Klaus Lederer, Ex-Präsidentschaftskandidatin Dagmar Schipanski, Grünen-Politker Werner Schulz und RBB-"Sandmann"-Chefin Sabine Preuschhof. Die Ost-West-sonntaz vom 7./8. November ist ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Als Pornostar, der aus dem Osten kam, habe ich Männerfantasien verändert. Wäre ich sehr eingebildet, würde ich sogar behaupten, dass ich als "Erotikstar" ein neues Image verkörpere. Denn Jana Bach ist nicht gerade der fleischgewordene (kapitalistische?) Männertraum wie eine Dolly Buster oder Gina Wild: Ich bin weder blond noch mit den obligatorischen großen Brüsten ausgestattet, sondern eher das hübsche Mädel von nebenan, das seine Fans ganz nah an sich heranlässt - der "Star zum Anfassen" eben, im wahrsten Sinne des Wortes.
Dass ich es geschafft habe, mich in der gesamtdeutschen Pornobranche durchzusetzen, liegt sicher auch an Charaktereigenschaften, die mir als Kind im Osten beigebracht wurden. Ich bin sehr offen und kommunikationsfreudig, aber auch fleißig und diszipliniert. Ich rauche nicht, ich trinke grundsätzlich keinen Alkohol und bilde mir viel auf meine Zuverlässigkeit und Professionalität ein. Mit meinem Perfektionismus kann ich selbst den abgebrühtesten Pornoregisseur auf die Palme bringen.
Ach ja, noch was: Dass ich als Ossi, ganz klischeegerecht, mit Nacktheit kein Problem habe, brauche ich ja wohl nicht extra zu betonen, oder?
Jana Bach ist Pornodarstellerin und Kolumnistin. Geboren 1979 in Eisleben, lebt sie heute in Westberlin
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Den Westen verändert? Eher nicht. Wohl aber die Meinung von Kollegen, Geschäftspartnern, Freunden in den Altbundesländern über die Ingenieurausbildung im Osten, über "Ostingenieurinnen", vielleicht auch über Ostfrauen, deren Denken und Tun. Ich habe meinen erwachsenen Kindern in Hamburg und Berlin versprochen, nicht ständig Ost-West zu thematisieren. Die sind davon einfach nur genervt. Aber ein bisschen stolz sein auf das Erreichte darf ich, wie ich glaube. Immerhin habe ich geschafft, in meinem Beruf als Ingenieurin zu bleiben - was vielen in meiner Generation nicht möglich war -, und kann tolle Anlagen bauen.
Ach ja, ich habe doch noch etwas im Westen verändert: Meine russischen Kollegen sind heute selbstverständliche Netzwerkpartner, gemeinsam mit Deutschen, Italienern, Engländern.
Und: es gibt die Ostidentität auch im positiven Sinne. Mein jüngster Sohn, 13 Jahre alt, sagt zu seinen Freunden in NRW immer ganz stolz: "Im OSTEN geht die Sonne auf!" Der Osten als Himmelsrichtung - das ist es doch! Ich liebe den Osten.
Katharina Koterewa ist Projektingenieurin für Vakuumtechnik. Geboren 1957 in Saalfeld, lebt sie heute in Apolda
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