„Von den Göttern verlassen“

■ Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm über den Zerfall der Städte und Perspektiven

Er gilt seit Jahren als einer der kritischsten Beobachter der gegenwärtigen Stadtentwicklung: Der in Berlin lebende Stadtplaner und Schriftsteller Dieter Hoffmann-Axthelm. Mit seinem 1993 erschienen Buch „Die dritte Stadt“, eine umfassende theoretische Erörterung des Phänomens Stadt, erregte er große Aufmerksamkeit. Die taz sprach mit Hoffmann-Axthelm, der in Hamburg im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Perspektiven metropolitaner Kultur“ seine Positionen vortrug.

taz: Die Städte wachsen unaufhaltsam. Dennoch sprechen Sie vom Zerfall. Wieso?

Dieter Hoffmann-Axthelm: Weil die Wachstumsformen nicht dieselben sind wie früher. In der Vergangenheit hatte die Stadt die Fähigkeit sich zu reproduzieren; ein bestimmtes Wachstumsmuster trieb sie voran. Die Stadterweiterung garantierte noch städtischen Zusammenhang. Jetzt ist es anders. Was die Stadt einst zentral auszeichnete, ist am explodieren. Die wichtigsten Elemente, das Zusammensein von Wirtschaft, Politik und Religion usw., fällt weiter auseinander. Die Produktion wandert ab – Finanz und Handel haben sich internationalisiert: Das findet auf Autobahnen und per Telefonen statt, nicht in der Stadt. Man braucht die Stadt nicht mehr.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Die Medien sind nicht die Akteure. Sie transportieren aber Stadtbilder, die beim Zerfall helfen. Die Medien entwerfen die Vorstellung einer aufregenden modernen neuen Stadt. Zum Beispiel wird Chaos und die Massierung von Hochhäusern als eine Qualität von Stadt gezeigt.

Wer sind nun aber die eigentlichen Akteure des Zerfalls?

Es sind internationale Kapitale, deren Konkurrenz dazu führt, daß immer rücksichtsloser mit der Stadt umgegangen wird. Immer schneller reorganisieren sich Betriebe, verwerten ihre Flächen. Der Finanzweltmarkt entscheidet, wo Banken geöffnet und geschlossen werden, entscheidet, welche Stadt überhaupt am Geschäft teilnehmen darf. In ostdeutschen Städten wird so geplant, als ob der Boom kurz bevorstehe, obwohl keiner da ist. Wenn nun ein Investor kommt, wird gleich das ganze Stadtzentrum ausgeliefert. Letztendlich sind die Akteure aber auch all diejenigen, die den Banken das Geld geben.

Schauen sich die Kulturschaffenden dieses Schauspiel ungerührt mit an?

Ich denke schon, weil sie ganz scharf auf die zerfallende Metropole sind. Wenn es ihnen dabei gut geht, beteiligen sie sich durch ihr Geld, das sie zur Bank tragen. Sie sind also mit von der Partie. Wir können uns alle nicht davon ausnehmen. Wer mit dieser Gesellschaft mitschwimmt, hat über seine Wünsche und ökonomischen Aktivitäten an dieser Stadtzerstörung teil. Und das macht es ja so schwierig, dagegen politisch etwas zu machen.

Sie entwerfen in der „Dritten Stadt“ Ansätze einer neuen Stadt, die mit der alten Stadt bricht. Wie entsteht die neue Stadt, in der Konsum, Produktion, Erlebniswelt und Menschen sich vermischen?

Ich will nicht die neue Stadt schaffen. Über autoritäre Umwälzung ist nichts zu machen. Wenn, dann wird es ein kapillarer Prozeß sein, der unter dem Druck von Not und knapper Kassen anläuft. Darüberhinaus verändern neue Wunschstrukturen die Verbrauchsmuster. Das heutige private Leben, geht gegen die Stadt – wir müssen aber mit der Stadt leben. In der Vergangenheit blühte die Stadt dann, wenn die Stadtstrukturen mit der Lebensweise ihrer Bewohner übereinstimmte. Unsere Mobilität, überall und nirgendwo zu sein, können weder die Städte noch wir selber auf Dauer durchhalten.

Ist die Kultur in unseren Städten mithin eine (touristische) Inszenierung?

Die Kultur ist weitgehend inszeniert. Wenn nicht inszeniert, realisiert die Kultur doch spezielle Stadtwünsche. So gibt es Protestkultur, die sich am Stadtzerfall festmacht, an den Rändern der Stadt, wo es kaputtgeht, wo Drogen herrschen. Klar, das dies oppositionelle Künstler anzieht. Wenn man das allerdings nur als Anlaß zum Kulturmachen nimmt, ist man schon wieder Profiteur des Zerfalls. Das ist eine ganze feine Grenze zwischen Lebendigkeit und zynischem Stadtverbrauch.

Ohne Einwanderung gäbe es keine Stadt. Sehen Sie gegenwärtig Chancen belebender Einwanderung?

Gerade für die Deutschen ist die Einwanderung wichtig, denn sie befinden sich eigentlich seit 1870 in einem Verpuppungsprozeß. Wir verschließen uns nach außen und meinen, hier sei alles besser als anderswo. Dies zu relativieren, halte ich für die wichtigste Wirkung.

Jetzige Stadt verbraucht Fläche. Wie kann ein anderer Umgang mit Land aussehen?

Wir dürfen nicht weiter Land versiedeln. Die bisherige Stadtfläche muß anders genutzt werden: Den überdimensionierten Verkehr zurückschrauben, höher und dichter bauen. Realer Stadtzuwachs ist ja kleiner als der Flächenverbruach anzeigt. Es ist ein riesiger Umnutzungsdruck, eine fortlaufende Tertiärisierung der City, die die Menschen immer weiter hinaustreibt.

Wie kann aber ein Stadtplaner eine andere Stadt planen, wenn die Menschen so weitermachen wie bisher?

Das ist die eigentliche Aufgabe der Kultur, nämlich Wünsche zu ändern. Neue Wünsche zu formulieren, die in eine andere Richtung gehen, die nicht die Stadt zerstören. Leidenschaften für das Gewöhnliche entfachen, für die Stadt wie sie ist. Nicht für eine Stadt, die man nur kriegt, wenn man die eigene zerstört.

Noch scheinen solche Leidenschaften nicht geweckt. Wohin führt die jetzige „Modernisierung“, die die soziale Segregation weiter vorantreibt?

Die Stadt zerfällt weiterhin in tertiärem Zentrum und teppichartiger Zersiedelung draußen. Was dazwischen zermahlen wird, sind die gemischten Wohnviertel aus dem vorigen Jahrhundert. Und da kommen die Ausländer rein. Als Sanierungsmasse ist es das ideale Gelände, wo Ausländer, Studenten, Alkoholiker, Rentner und finanzschwache Kulturleute leben. Sie stellen für die Stadtpolitik einen hohen Gebrauchswert da. Das größte Problem bleibt aber die wachsende Zahl der Eigenheime mit ständig zunehmendem Verkehr.

Wo sehen Sie - als Stadtplaner - ökonomisch-politische Ansätze einer Neuorientierung?

Der Stadtplaner kann nur in einem bestimmten stadtpolitischen Klima sinnvoll wirken. Chancen liegen in den Finanzen: Alle Veränderungen der Weltgeschichte haben sich aufgrund von knappen Kassen ergeben.

Fragen: Dierk Jensen