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Von Möhre erwürgt!

■ betr.: "Gemeingefährliche Vegetarier"

betr.: „Gemeingefährliche Vegetarier“, (Kalenderblatt),

taz vom 30.7.90

Zu diesem Thema könnte man einen kleinen Roman schreiben, angefangen von der Frage, ob es sich um sogenannte Puddingvegetarier (das heißt diese essen noch den Yunk Food von ausgebleichten weißen Mehlen und Zucker zum Beispiel) oder um Vegetarier handelt, die noch alles gekocht in der Hauptsache essen (vergleiche hierzu zum Beispiel Untersuchungen in Sri Lanka, wo Lepra-Kranke mit roher Nahrung beste Erfolge gegenüber gekochter Nahrung erzielt haben). (...)

Bei mir dauerte es zwei Jahre, bis ich das mit dem fleischlos kapiert hatte. Ergebnis: keine Gichtanfälle mehr ohne eine medizinische Tablette. (...) An Getreide habe ich in den zwei Jahren eingespart: 1,4 Tonnen. (...) Rechnet man nur einen Teil der Bundesbürger, die dieses machen würden, ergäbe dies bei 30 Millionen Einwohnern Einsparungen von 21 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr! Dies ist tatsächlich die wahre Revolution. Marx sieht dagegen wirklich alt aus. Er hat tatsächlich das Problem des Fleischessens vergessen bei seinen Überlegungen, sonst hätte alles besser geklappt. Kein Wunder, daß bei solchen Zahlen Störfeuer aus allen Richtungen auf die vollwertigen Vegetarier kommen. (...)

Richard Herrmann, Sprecher der Gesundheitspartei Europa

Karl Wegmann leidet ja unter dem sogenannten Mehrheitensyndrom, der Arme! Jetzt ist er schon so liberal und gesteht einigen Argumenten von (Teil-)Vegetariern Existenzberechtigung zu (wie großzügig) - Aber wehe, es wagt einer, ihm die Erzeugung und die Inhalte seines Schnitzels zu erläutern: Da muß er demjenigen doof in den Kopf schnitzen. Was ein Bild! Dann kommen die armen Katzen dran: Von Möhre erwürgt! Welcher Katzenhaber würde die Katze sterben lassen, wenn sie kein Gemüse frißt? Er wird seine Weisheit aus Berichten der Tierversucher beziehen. Woher sollte er's sonst wissen? Feine Quelle, um damit anzugeben.

Er kräht Mordio wegen drei Gemüsenkatzen und unterschlägt, weil er's nicht wissen will, daß hier unsere Rinder mit Schafleichen gefüttert werden, woraus der britische und jetzt auch kontinentale Rinderwahnsinn erwuchs: Guten Appetit, Herr Wegmann! Pflanzenfresser Nummer 1, die Kuh, durch Überlistung per raffinierter Futtermischung zum Fleischfresser zu machen, ist ein Verbrechen ethischer und moralischer Art, die unserer verdorbenen Gesellschaft entspricht. Ich spreche jetzt gar nicht von den ökologischen Schäden der Massentierhaltung, denn diesen Argumenten kann er sich lauthals nicht entziehen: Ich spreche von der Verachtung der Mitwesen, wie sie beispielsweise in der Zucht der Schweine zu Tage tritt. Dieses sensible Tier (eines der menschenähnlichsten), wird in dunklen Löchern in der eigenen Scheiße zur Schlachtreife gequält, so daß es nur noch mit Psychopharmaka davon abgehalten werden kann, sich selbst zu zerfleischen - und das wird getan. (...)

Das Argument mit dem totgequälten Baby aus Toronto schließlich ist die Spitze seines naziargumentativen Geschreibsels: Ich möchte nicht wissen, wie viele Babys schon an einer Überdosis Nitritpökelsalz aus Wiener Würstchen verendet sind - braucht man gar nicht weiter auszuführen. (...)

Wieland Speck, Berlin 30

Das Grübeln, in das Herr Wegmann über die Widersprüchlichkeit unserer Fleischernährungskultur geraten ist, macht ihn tobsüchtig-aggressiv. Er zuckt das Schnitzelmesser und möchte die Verursacher seines Leidens, die ihm sein Beefsteak-Schnitzel vermiesen, mit „doof“ stigmatisieren, nach dem alten Tobsuchtsmuster, den Boten der schlechten Nachricht zu töten.

Und dann muß die Geschichte einer Eltern-Psychose, die mit Fleischernährung ja oder nein nichts zu tun hat, dazu herhalten, ihn und uns aufzuwiegeln, nun wider alle Vernunft das Fleisch doch zu retten. (...) Zu Ihrer Information: Gerade Säuglinge gedeihen bestens ohne Fleisch (schon mal was von Brusternährung gehört?). Hund und Katze füttere ich seit Jahren mit einem Bruchteil der von Desmond Morris empfohlenen Fleischration vornehmlich vegetarisch (90 Prozent). Sie gedeihen beide bestens. Von Tierquälerei keine Spur. (...)

Judith Lang-Bloch, Eppelheim-Heidelberg (BRD)

(...) Natürlich sollte man darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, das fleischfressende Tier Katze vergetarisch zu ernähren und das, was in Toronto passiert ist, ist schlimm. Aus derartigen Einzelfällen jedoch die Überschrift „Gemeingefährliche Vegetarier“ zu konstruieren, stellt die tatsächlichen Verhältnisse allerdings in unzulässiger Weise auf den Kopf. Gemeingefährlich (im Sinne einer Schädigung des Gemeinwohles) sind doch wohl diejenigen, die sich angesichts von über 100 Millionen in den Kerkern der Massentierhaltung dahinvegetierender Tiere, großräumiger ökologischer Zerstörung bei uns (Waldsterben und Überdüngung der Flüsse und Meere durch die Gülle) und in der sogenannten Dritten Welt (Abholzung der Tropenwälder für Rinderzucht und Futtermittelanbau), einer ungeheuren Verschwendung von Lebensmitteln durch die „Fleischproduktion“ (für eine tierische Kalorie müssen im Durchscnitt sieben pflanzliche Kalorien eingesetzt werden) sowie von Futtermittelimporten aus Hungergebieten um unsere Gier nach Fleisch befriedigen zu können („flächenunabhängige Veredelung“ wird das genannt) immer noch meinen, sich über 100 Kilogramm Fleisch im Jahr (im Durchschnitt) erlauben zu können.

Vegetarismus ist keine Marotte skuriler AußenseiterInnen, sondern angesichts der uns bedrohenden ökologischen, Welternährungs- und auch gesundheitlichen Probleme die Ernährungsform der Zukunft.

Thomas Schönberger, Initiative für offensiven Vegetarismus, Hamburg

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