: Von Mensch und Reh
■ Die üblen Folgen einer Weltmeisterschaft
Berlin (taz) - Der Gewinn einer Fußball-Weltmeisterschaft muß wohl doch bösere Folgen für die Geistesverfassung eines Menschen haben, als man bislang angenommen hatte. Wie sonst könnte ein gemeinhin ganz vernünftiger Mann, ohne sogleich das verantwortliche Verlagshaus niederzubrennen, den zuständigen Redakteur zu erwürgen oder sich auf der Stelle im Wilden Kaiser zu ertränken, es zulassen, daß folgende Sätze über ihn in einer öffentlich zugänglichen Zeitung stehen und mit dem Satz überschrieben sind: „Beckenbauer exklusiv in 'Bild'“:
„Dann sitzen sie zu Gericht, dieser Ägypter und die anderen Alten. Ins Stadion gehen die nur noch mit einem Notarzt. Und dann sagen sie, Rot bleibt Rot, Völler bleibt gesperrt.„
Franz legt das Messer hin. „Du hast das Gefühl, das sind Leute, die wollen den Fußball zerstören.“
Sybille, ganz in weiß. Sein Engel. „Schatz, reg‘ dich nicht auf. Schau‘ doch mal raus.“
Franz im Herrgotts-Stüble, unter dem geschnitzten Holzkreuz: „Mei, wen ham wir denn da. Unser Reh.“ Seine Stimme wird fast zärtlich. „Unser Reh, kommt's jetzt scho im Sommer in den Garten.“
Der Mensch Beckenbauer. Er legt den Arm um seine Frau und sagt: „Schau mal, unser Reh, wie's frißt. Lecker, lecker Rosenblätter.“ Der Mensch Beckenbauer. Da kommt ein Reh und frißt seine Rosen. Und er freut sich, nennt es deshalb jetzt Rosi. Auf einmal ist es weg. Die WM kommt zurück.
Der Herrgott im Oberstüble, festgenagelt am Lattenkreuz. Der Mensch Beckenbauer. Berti, hilf!
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