Von Fememord war nicht die Rede

■ Die Jugendkammer des Landgerichts Hannover verhängte Höchststrafen gegen vier Skinheads wegen Mordes an ihrem „Kameraden“ / Gericht schloß politische Motivation aus, obwohl Täter wie Opfer Mitglied der rechtsradikalen Wehrsportgruppe „Eisernes Kreuz 1“ waren / Aussagen eines V–Mannes nicht berücksichtigt

Aus Hannover Jürgen Voges

„In massiver Weise ist durch Presseveröffentlichungen auf dieses Verfahren eingewirkt worden“, sagte am vergangenen Freitag der Vorsitzende der Jugendkammer des Landgerichts in einem „Wort in eigener Sache“, mit dem er nach dreieinhalb Monaten den Prozeß um den Mord an dem Skinhead Roger Bornemann abschloß. Das Gericht verwahre sich gegen den Vorwurf, nicht objektiv und auf dem rechten Auge blind zu sein und lasse sich weder von rechts noch von links vor einen politischen Karren spannen. „Es gibt keine Hinweise auf einen politischen Mord“, zitierte am Ende mit einem ärgerlichen, fast trotzigen Unterton der Vorsitzende Gerhard Kausch noch einmal die Urteilsbegründung. Die Vorwürfe, die Richter Kausch am Freitag so vehement zurückwies, wird er sich auch weiterhin gefallen lassen müssen. Sehr hohe Strafen hat die Jugendkammer gegen die vier Skinheads verhängt, die im Februar ihren Kumpanen Roger Bornemann stundenlang mißhandelt, geprügelt und dann zu Tode getreten hatten. Den im Februar 17jährigen Tom K., den seine Mitangeklagten als Initiator des Verbrechens bezeichneten, verurteilte sie wegen Mordes zur höchsten Jugendstrafe von zehn Jahren. Die Urteile gegen seine Mittäter, bei denen das Gericht nach Tatbeitrag und Vorstrafen differenzierte, liegen mit achteinhalb, achtdreiviertel und neun Jahren kaum unter diesem Strafmaß. Doch die für jeden Mordprozeß zentrale Frage, die nach dem Motiv, ließ die Kammer in ihrer Urteilsbegründung unbeantwortet. Mord aus „niedrigen Beweggründen“ Der Tatbestand des Mordes sei erfüllt, niedrige Beweggründe lägen vor, „weil die Angeklagten Roger Bornemann aus Lust an körperlicher Mißhandlung getötet haben“, sagte Richter Kausch an zentraler Stelle seiner Begründung. Als Beweis für die „Lust an körperlicher Mißhandlung“ folgte eine Zusammenfassung des gerichtsmedizinischen Befundes, eine Beschreibung des Toten, bei dem kein Körperteil von Tritten verschont geblieben war. Darüber hinaus führte das Gericht noch jene widerliche Szene an, die sich im hannoverschen Stadtwald abgespielt hatte, bevor die Angeklagten ihr Opfer „platt machten“: Nachdem sie Roger Bornemann eine Zigarette angeboten hatten, mit der Bemerkung, es könne seine letzte sein, pinkelten sich zwei der Angeklagten über einen Zaun hinweg an - „aus Spaß“, wie sie selbst im Prozeß sagten. Der Frage nach dem Anlaß, nach der Vorgeschichte, die zu der Gewaltorgie führte, ist die Kammer in der Urteilsbegründung je doch gar nicht erst nachgegangen. Richter Kausch bescheinigte den Angeklagten zwar „schädliche Neigungen“, ließ jedoch unberücksichtigt, in welchem sozialen und politischen Umfeld diese „Neigungen“ entstanden. Die Zugehörigkeit der Angeklagten zu den Skinheads habe lediglich deren latente Brutalität gefördert, lautete der einzige Satz der Urteilsbegründung, der über das unmittelbare Tatgeschehen hinauswies. Mit dieser Urteilsbegründung ist das Gericht den Geständnissen der Angeklagten voll gefolgt. Mit Ausnahme von Tom K. hatten seine Mitangeklagten Peter St. (18), Hans–Jürgen Sch. (18) und Marco Sch. (18) auch vor Gericht den Ablauf des Mordes in allen Details bereitwillig geschildert. Äußerst zurückhaltend reagierten diese drei jedoch auf alle Fragen, die ihre Zugehörigkeit zur rechtsradikalen Szene betrafen. Drei der Angeklagten haben im Prozeß lediglich zugegeben, Mitglieder der „Sport– und Sicherheitskameradschaft Eisernes Kreuz“ (EK 1) gewesen zu sein, und Marco Sch. will überhaupt nur einmal an einem „Kameradschaftsabend“ der Neonazi– Gruppe teilgenommen haben. Ausländerfeindlich sei das EK 1 gewesen und Wehrsport habe man machen wollen, hieß es. Doch daran, was im einzelnen an den wöchentlichen Kameradschaftsabenden passierte, konnten sich die Angeklagten nicht mehr erinnern. Man habe Videos angesehen und sich unterhalten, hieß es immer wieder. Ähnlich vage blieben auch die Auskünfte des „Kameradschaftsführers“ des EK 1, Bernd Futter, den das Gericht als Zeugen hörte, über die Ziele der Gruppe. Auch der für Rechtsextremismus zuständige Verfassungsschützer Neidhard Fuchs, den die Kammer auf Antrag der Nebenklage als sachverständigen Zeugen geladen hatte, hielt sich bedeckt. Er konnte zwar einiges über die FAP, kaum aber etwas über das EK 1 vortragen. V–Mann nicht als Zeuge geladen Der Verfassungsschützer muß allerdings mehr gewußt haben, als er vor Gericht offenbarte, denn der für Wehrsport zuständige Unterführer der EK 1 war ein V– Mann des Verfassungsschutzes. Der heute 20jährige Ex–V–Mann, der unter dem Decknamen „Guhr“ von Februar bis Anfang Dezember 1986 erst aus der FAP und dann aus dem EK 1 dem Verfassungsschutz wöchentlich Berichte lieferte, ist nicht als Zeuge geladen worden, obwohl er aussagebereit war und sich seit langen von seiner Nazi–Jugend distanziert hat. Nach seinen Angaben, die der V–Mann vor einigen Wochen im Gespräch mit der taz und auch ge genüber anderen Journalisten gemacht hat, haben sich im EK 1 „natürlich alle Mitglieder als Nationalsozialisten verstanden“. Die Gruppenmitglieder, so „Guhr“, hätten der SS nachempfundene Uniformen mit entsprechenden Emblemen und Rangabzeichen getragen. Als Beispiel für die angeblich harmlosen Videos, die auf den Kameradschaftsabenden gezeigt wurden, nannte er Leni Riefenstahls NS–Parteitagsfilm „Triumph des Willens“. Nach der Aussage von „Guhr“ waren nicht nur drei, sondern alle Angeklagten Mitglieder des EK 1. An einer von ihm geleiteten Wehrsportübung hätten drei der Angeklagten, darunter auch der die EK–1– Mitgliedschaft bestreitende Marco Sch., teilgenommen. In Kampfanzug mit Stahlhelm, Feldstecher, Luftgewehr und Gaspistole sind der V–Mann und die drei Angeklagten bei dieser Übung vier Stunden lang „quer durchs Moor“ marschiert. Auch nach Aussage von „Guhr“ waren allerdings die politischen Ziele des EK–1–Kameradschaftsführers Bernd Futter diffus: „Er war nicht sehr politisch, wollte einen völlig anderen Staat und hat immer von erschießen und vergasen geredet“, sagte Guhr. Präzisere Vorstellungen über die Funktion des EK 1 hatte seinen Angaben nach allerdings der Altnazi Reinhard Lotze, der die Schweigepflicht und strikte Disziplin verlangende Satzung des EK 1 geschrieben hatte. Lotze, so der V– Mann, habe Waffen, Zelte und zwei Autos besorgen wollen und Futter auch einige tausend Mark gegeben, um aus dem EK 1 eine spezielle Einsatztruppe zu machen. Richter Kausch hat in der Urteilsbegründung das EK 1 nur einmal erwähnt. Drei der Angeklagten seien Mitglieder in dem Ende Oktober 1986 gegründeten EK 1 gewesen, „einer Sicherheitsgemeinschaft, bei der Wehrsportveranstaltungen im Vordergrund standen“, sagte er wörtlich. Eine Beziehung zwischen der EK–1– Mitgliedschaft und der Mordtat fehlte in der Urteilsbegründung. Das Gericht bewahrte damit den Verfassungsschutz und die Politische Polizei vor unangenehmen Fragen. Brandanschläge und „Jagd auf Türken“ Nach den Angaben von V–Mann „Guhr“ und auch nach der Aussage, die der Kameradschaftsfüh rer selbst im Prozeß gemacht hat, ließen Verfassungsschutz und Politische Polizei die Gruppe um Futter quasi „an der langen Leine laufen“. V–Mann „Guhr“ will jedenfalls schon vor der EK–1– Gründung den Verfassungsschutz über Straftaten Futters informiert haben. Persönlich habe er, so Guhr im Gespräch mit der taz, Ende September 1986 Futter und zwei andere Neonazis mit seinem Auto in die Hüttenstraße gefahren, wo diese dann einen Brandanschlag auf ein von Ausländern bewohntes Haus verübten. Über diesen Anschlag hatte „Guhr“ am nächsten Morgen sofort den Verfassungsschutz informiert. Weitergegeben hat der Verfassungsschutz diese Information offensichtlich nicht: Die Polizei tauchte in der Folgezeit weder bei Futter noch den anderen am Brandanschlag Beteiligten auf. Gut acht Wochen später - das EK 1 war nun bereits gegründet - gab V–Mann Guhr dann die Information weiter, daß Futter im Besitz einer scharfen Riot–Gun, einer automatischen großkalibrigen Schrotflinte sei. „Mit dieser Büchse“, so der V–Mann, „wollte Futter aus dem Auto heraus auf Türken schießen.“ Sein Kameradschaftsführer habe damals direkt verlangt, ihn zu einer solchen „Jagd“ in die Innenstadt zu fahren. Die Information des V–Mannes über den Besitz der Riot–Gun muß der Verfassungsschutz dann an die Polizei weitergegeben haben. Drei Tage später, so die Schilderung von „Guhr“, beschlagnahmte die Polizei die Büchse in Futters Wohnung und nahm den Kameradschaftsführer fest. Doch gegen die Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Kripo zu melden und dabei der Politischen Polizei Informationen über die rechtsradikale Szene zu liefern, wurde der Kameradschaftsführer am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Diesen Deal mit der Polizei hat Futter selbst in seiner Zeugenaussage im Mordprozeß bestätigt. Die Führung des EK 1 bestand zum damaligen Zeitpunkt demnach aus einem Polizei–V– Mann und einem V–Mann des Verfassungsschutzes. Dennoch wurden aus der Gruppe um Futter in der Folgezeit noch weitere Straftaten verübt, darunter am 4. Dezember ein Einbruch in ein hannoversches Waffengeschäft, bei dem Futter und seine drei Mittäter auf dem Weg zum Tatort von der Polizei kontrolliert wurden und die Alarmanlage des Geschäftes wie von Geisterhand Stunden au ßer Funktion gesetzt war. Erst Ermittlungen der „normalen“ Kripo wegen dieses Einbruchs führten dann kurz vor Weihnachten 1986 zur Verhaftung von Futter. Die These vom Fememord Noch die Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft für den Mordprozeß vorgelegt hat, schloß eine Tötung aus „Rache“ an einem „Verräter“ nicht aus. Alle vier Angeklagten, so lautet ihr letzter Satz, wußten, „daß Roger Bornemann bei der Polizei gegen Mitglieder und Anhänger der FAP ausgesagt hatte“. In der mehr als dreimonatigen Verhandlung vor der Jugendkammer konnte nicht bewiesen werden, daß der 17jährige Skinhead der Suche nach dem Verräter in dem von staatlichen Informanten durchsetzten EK 1 zum Opfer gefallen ist. Dazu hätten die Angeklagten selbst, und vor allem der die Aussage verweigernde Tom K., über ihre Motive sprechen müssen. Dennoch gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, daß die vier Skinheads ihrem Opfer zumindest einen Denkzettel für den „Verrat“ verpassen, ihn mißhandeln, „plattmachen“ wollten. Es hat auch nach Aussagen der Angeklagten zu diesem Zeitpunkt in den Resten des EK 1 diese Suche nach dem Verräter gegeben. Noch kurz vor dem Mord hatten Tom K. und Roger Bornemann darüber gesprochen, daß man ein drittes EK–1–Mitglied, das bei der Polizei ausgepackt habe, durch einen Schuß mit einer Armbrust in den Hinterkopf hinrichten wolle. Gegen die These, daß die vier Skinheads ihr Opfer für „Verrat“ bestrafen wollte, spricht auch nicht, daß damals fast alle EK–1–Mitglieder, auch Tom K., bei der Polizei ausgesagt haben. Denn im Gegensatz zu den anderen hat Roger Bornemann seine Aussagen bei der Polizei nicht vor der Nazi–Szene geheimgehalten. Roger Bornemann hat mehrmals vor der Polizei ausgesagt. Schon nach seiner ersten Aussage, so behauptet V–Mann Guhr, hätten Bernd Futter und Tom K. „ihm was vor die Birne hauen wollen“. Roger Bornemann - das sagt der V–Mann, das sagte auch Futter selbst und einer der Angeklagten - war das körperlich schwächste Mitglied der Gruppe, das von den anderen immer wieder gehänselt, herabgewürdigt wurde. Während der über Stunden dauernden Mißhandlungen hat er nicht versucht, seinen Mördern zu entfliehen, hat nur einmal gesagt, er wolle jetzt nach Hause. „Seine Sündenbockrolle in der Gruppe“, so führte der Gutachter Detlef Cabanis aus, habe Roger Bornemann bis zuletzt gespielt und entsprechend auch nichts getan, um die Gewalt gegen ihn zu beenden. In der Urteilsbegründung der Jugendkammer finden sich solche Überlegungen nicht wieder. Aber dann hätte sich die Kammer auch mit dem sozialen und politischen Umfeld des Mordes auseinandersetzen müssen. Doch diese Absicht hatte die Kammer von vornherein nicht. Die Fragen nach politischen Hintergründen, die der Vorsitzende Kausch pflichtgemäß an die Angeklagten und an Zeugen richtete, blieben während des gesamten Verfahrens genauso nichtssagend wie die Antworten, die er darauf bekam. Als die Vertreter der Jugendgerichtshilfe vor ihren Ausführungen erklärten, sie wollten auch auf die Entwicklung der Neonazi–Szene in Hannover eingehen, antwortete ihnen Kausch: „Ich werde ihnen das Wort entziehen, wenn sie hier politische Äußerungen machen.“ Erst auf einen förmlichen Antrag des Verteidigers Bertram Börner hin, nahm er diese Äußerung zurück. Verbittert durch ein Urteil, das nichts erklärt, ist der Vater des Getöteten, der Nebenkläger Gerd Bornemann. Das Gericht hat seine Hoffnung auf Aufklärung des Mordes enttäuscht.