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Vom paradoxen Unterfangen, sozialen Wandel durch strategisches Handeln in der Verwaltung herbeizuführen.Von der Gleichstellung zur Geschlechtergerechtigkeit

■ Frauenförderpolitik hat Erfolge aufzuweisen. Und doch stellt der breite Konsens über die Notwendigkeit, Privilegien von Männern abzubauen und Frauen zu fördern, ein Problem dar, das zunehmend sichtbar wird und diffuses Unwohlgefühl erzeugt. Carol Hagemann-White nennt es das neue „Problem ohne Namen“.

Lassen Sie mich mit zwei Anekdoten beginnen.

Ich wohne in einem katholisch-konservativ geprägten Dörfchen bei Osnabrück, das in diesem Jahr 750 Jahre alt wurde und dies wurde mit Kaninchenschau, Kirmes und Messe gehörig gefeiert hat. Um etwas Bleibendes zu tun, hat man eine Skulptur herstellen lassen, die am Festtag vom Gemeindedirektor a.D. enthüllt wurde. In seiner Rede erklärte der Gemeindedirektor a.D., warum sich der Arbeitskreis gerade diese Skulptur gewählt hat: Sie heißt „Bäuerin mit Spinnrad und Kind“. Grund für die Wahl des Motivs war, so hörten wir, „dass in früheren Jahrhunderten die Frauen und Mütter die Hauptlast in Familie und patriarchalischer Gesellschaft zu tragen hatten.“ Bei den weiteren Erläuterungen zur Skulptur kann ich mich nicht aufhalten, ich merke nur an, dass die Bäuerin symbolträchtig auf dem Buch der Geschichte sitzt, während das (geschlechtslose) Kind ihr offenbar am Ärmel zupfen will. Was hat es nun zu bedeuten, dass in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 die mahnende Erinnerung an Jahrhunderte patriarchaler Ausbeutung der Frauen den Stellenwert eines Wettbewerbs „Unser Dorf soll schöner werden!“ einnimmt?

Als die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau eingerichtet wurde, musste sie auch deshalb so umständlich benannt werden, weil kein Gemeindedirektor in der Bundesrepublik (auch nicht a.D.) Begriffe wie „patriarchalische Gesellschaft“ geduldet hätte. Haben inzwischen alle gesellschaftlichen Organisationen und deren VertreterInnen das feministische Anliegen begriffen?

Lassen Sie mich aus einer Hausarbeit zitieren, die drei künftige Lehrerinnen kürzlich für eine Prüfung geschrieben haben. Sie taten sich schwer, das Buch von Jessica Benjamin zur Erklärung von Dominanz und Unterordnung im Geschlechterverhältnis zu lesen. Ich musste sie daran erinnern, dass es künftig ihr Beruf sein wird, Kindern das Lesen von Texten abzuverlangen, die diese wiederum schwierig finden. Als es um die eigene Einschätzung des Gelesenen geht, fragt eine von ihnen etwas ratlos, ob diese Theorie überhaupt noch relevant sei, und verneint dies, denn „heutzutage lässt sich niemand mehr so einfach unterdrücken“.

Eine Bewegung ohne Nachwuchs

Was bedeutet es, wenn junge Menschen heute meinen, es gäbe das Problem überhaupt nicht mehr, auf das Frauenpolitik und feministische Theorie antworten wollen? Erleben sie ihre Welt so, dass die „sozial gerechte, von Frieden und Freiheit geprägte Zukunft“ schon angebrochen ist, so dass der Frauenunterdrückung ein Denkmal gesetzt werden muss, damit wir uns überhaupt an sie erinnern?

In der Zeit ihrer Entstehung bezogen sich die Gleichstellungsinstitutionen und die Strategien, die unter dem Begriff „Frauenpolitik“ zu fassen sind, auf ein öffentliches Bewusstsein, in dem diese Fragen viel stärker umstritten waren. Diejenigen, die Maßnahmen gegen die hartnäckige Vorherrschaft des Mannes forderten, mussten gegen die Überzeugung ankämpfen, dass dergleichen völlig unnötig sei. Es gab auch eine Trennlinie zwischen denen, die auf den Staat und die Institutionen setzten, und den Frauen aus der Bewegung, die diesen Weg mit höchstem Misstrauen betrachteten. (...)

Die Einrichtung von Gleichstellungsstellen wurde vielfach als Möglichkeit verstanden, von der Basis her die politischen Mehrheiten auf Bundesebene zu verändern. Diese Hoffnung verknüpfte sich mit der zweiten Hauptaufgabe solcher Stellen, die eine andere „Basisnähe“ haben als Ministerien: Durch Beratung und Öffentlichkeitsarbeit sollten sie die tatsächlichen Problemlagen von Frauen kennen und bekannt machen, deren Wünsche an die Politik an die staatlichen Instanzen und Verwaltung herantragen. Mit diesem Aufgabenfeld fungierten diese Stellen erst recht nicht als typische Verwaltungseinheiten, und die Frauenbeauftragten blieben nach eigener Einschätzung „Fremde in der Verwaltung“.

Dass die ehemals sozialdemokratische Färbung dieser Institution rasch verblasste, hat zum einen mit der breiten Zustimmung zum geforderten Einlösen von Gleichberechtigung innerhalb der weiblichen Bevölkerung zu tun, die in allen Parteien eine explizite Frauenpolitik hervorrief. Sie war aber auch eine Folge der Verankerung im politisch-administrativen System selbst. Ohne Anti-Diskriminierungsgesetz, dessen Einhaltung hätte überwacht werden können, mussten diese Einrichtungen konkrete Ziele entwickeln und verfolgen, die über eine Kritik am Unrecht der Benachteiligung hinausgingen. Auch die Frauenbewegung nahm nach 1982 eine Wendung: Im Nachdenken wandte sie sich nach innen, um die eigene Verstrickung im Geschlechterverhältnis besser zu verstehen und ihr teilweise mit Therapie zu begegnen; in ihrer Praxis wurden konkrete, mit staatlichen Mitteln bezuschusste Frauenprojekte zum wichtigsten Handlungsfeld; und in ihren politischen Forderungen gab es eine Wende von der umfassenden Anklage zum positiven Wert der Leistungen und Fähigkeiten von Frauen.

In dieser Umwertung der Werte sollte nicht mehr (oder vielleicht: vorrangig symbolisch) über Gewalt, Leid und Diskriminierung gesprochen werden, sondern darüber, was Frauen Wertvolles einzubringen haben. Das wurde ein Bedürfnis in der feministischen Bewegung, weil die anfängliche Begeisterung der Entdeckung, wo das Patriarchat überall wirkt – in der Hoffnung, Wissen sei auch Macht, um alles zu verändern – einer Mischung von Erschrecken und Depression gewichen war. Andererseits war die Suche nach dem Positiven eine Folge der Erweiterung der Frauenbewegung in breite Lebenskreise der Bevölkerung hinein, denen die intellektuelle Aufregung bei der Beschreibung fataler Verstrickungen fehlte. Frauenpolitik, die in der Breite Wählerinnen ansprechen wollte, griff nach jeder Aussage, die begründen konnte, dass die Gesellschaft Frauen in qualifizierten und führenden Positionen braucht. Damit kam es verstärkt zu jenen Verallgemeinerungen über „die Frauen“, die heute noch durch die Medien schwirren, und die den jüngeren Frauen Unbehagen bereiten, weil sie sich von ihnen vereinnahmt fühlen. Es folgten Verallgemeinerungen über „die Männer“. Maßnahmen für Frauen werden gerne damit begründet, dass Frauen sonst in der Konkurrenz mit Männern zu kurz kommen, dass Männer ohne staatliche Intervention und Sanktionen ihre strukturelle Macht ausnutzen, und dass „die Männer“ niemals (oder höchst selten) freiwillig ihre Privilegien abgeben, so dass sie – notfalls gesetzlich – dazu gezwungen werden müssen.

Neues Unbehagen über alte Verallgemeinerungen

Inzwischen stellt sich allerdings die Frage, ob wir mit dieser Art von Frauenpolitik in eine Sackgasse geraten sind. Das Dilemma versuche ich am Beispiel der beruflichen Benachteiligung zu verdeutlichen.

Europaweit ist die Bildungsbeteiligung von Frauen in den vergangenen 20 Jahren sehr stark, und verglichen mit Männern überproportional gestiegen. In den allermeisten Ländern – die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den wenigen Ausnahmen – haben die jungen Frauen die gleichaltrigen Männer längst überholt. Studentinnen verteilen sich jedoch ungleich über die Studienfächer, und es wird inzwischen hier von kulturellen Barrieren gesprochen, die sie von bestimmten Fächern fernhalten. (...)

Der Zugang bzw. der relative Ausschluss von Frauen vollzieht sich, kann man sagen, in einem dreidimensionalen Raum mit den Achsen: (1) Teilhabe an gesellschaftlicher Macht; (2) Verbleib und Aufstieg in qualifizierten Berufsfeldern und (3) Zugang zu Bereichen des Könnens und des Wissens, die kulturell mit Männlichkeit verknüpft sind.

Diejenigen Fachgebiete und Berufsfelder, die den Zugang zu höherem Einkommen, höherem Prestige und beruflichem Aufstieg erschließen können, haben einen niedrigen Frauenanteil. Junge Frauen scheinen dies bei ihrer Berufsfindung und ihrer Studienfachwahl vorauseilend in Rechnung zu stellen. Sie richten auf genau diese Aspekte des Berufs – Einkommenspotential, Sozialprestige, Aufstiegsmöglichkeiten – deutlich weniger Aufmerksamkeit als junge Männer, und sie schätzen die Schwierigkeiten eines für Frauen untypischen Werdegangs etwa in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern noch größer ein als diese es tatsächlich sind.

Das Sackgassenmodell: Falsche Strategien der Rücksichtnahme

Frauenpolitische Lösungsansätze sind in verschiedenen Kombinationen von drei Grundelementen zu finden:

– Es wird versucht, die formelle Gleichberechtigung in vollem Umfang zu verwirklichen, beispielsweise Stellen auszuschreiben, Besetzungsverfahren transparent zu gestalten und Diskriminierungsmechanismen zu bekämpfen.

– Es werden spezifische Maßnahmen ergriffen, wie die Bestellung von Frauenbeauftragten, die Erstellung von Frauenförderplänen und die Einrichtung spezieller Stellenprogramme für Frauen. Ich nenne das „Frauenförderpolitik“.

– Schließlich werden Versuche unternommen, einen anspruchsvollen Werdegang mit Lebensphasen der Familienverantwortung und der Kindererziehung vereinbar zu machen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 1998 beispielsweise beschwören partnerschaftlich geteilte Familienarbeit, und fordern Staat, Kommunen und Arbeitgeber auf, Kinderbetreuung bereit zu stellen. Etwas unentschiedener stehen daneben die Vorschläge, „Umwege oder Bruchstellen in der Wissenschaftsbiographie, die mit einem höheren Alter bei der Bewerbung verbunden sein können“ nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Ich bezeichne diese als Strategien der „Rücksichtnahme“.

In der Praxis steht bei der Verknüpfung dieser drei Strategien die Forderung nach Gleichbehandlung an erster Stelle, während Frauenförderpolitik einerseits, die Rücksichtnahme auf strukturelle Nachteile andererseits nachgeordnet sind. Das wurde auch durch europäische Rechtsprechung so erzwungen. Das Ergebnis ist mehr oder weniger eine Behandlung von Frauen als Behinderte.

Das Problem ist nicht, dass die Ansätze generell falsch oder die Projekte und Programme schlecht sind; das sind sie keineswegs. Der Kern des Problems scheint in der Ausweglosigkeit des zugrunde liegenden Konfliktmodells zu liegen.

Maßnahmen mit dem steten Verweis auf Diskriminierung und Benachteiligung zu begründen, kann in eine Sackgasse führen. Denn Argumente, die von der Benachteiligung herkommen und besondere Förderung verlangen, gehen davon aus, dass konkurrierende Gruppen in der Gesellschaft gegeneinander antreten. Das ruft unweigerlich Gegenreaktionen hervor und stellt auch die Frage der Priorität im Benachteiligungsausgleich. Die Rücksichtnahme auf Familienarbeit und Lebensbelastungen ist eine strukturelle Demütigung, da sie Frauen dazu nötigt, ihre persönlichen und privaten Lebensverhältnisse dem potenziellen Arbeitgeber oder der fördernden Stelle mitzuteilen. Zudem bestätigt und verstärkt dieser Ansatz die Annahme, dass Frauen die primäre Verantwortung für Kinder und Familie haben. Und schließlich untermauert das Postulat der abstrakten Gleichberechtigung das Prinzip, dass die Wahrnehmung beruflicher oder öffentlicher Verantwortung durch keinen Anhang zwischenmenschlicher Art gebremst oder belastet sein darf.

Als Ganzes gesehen schreiben diese politischen Strategien ein traditionelles Rollenverhältnis fort, während sie mittelfristig Gegenforderungen auf den Plan rufen. Das Prinzip abstrakter Gleichberechtigung will das Geschlecht ausschalten; die Frauenförderpolitik setzt Frauen in kollektive Konkurrenz zu Männern um knappe Ressourcen, und das Prinzip der Rücksichtnahme definiert das Leben als eine Störung, die nur in genehmigten Einzelfällen den Gang der Karriere unterbrechen darf.

Frauenpolitik hat Perspektiven und Aufgabenstellungen aus der Parteinahme für Frauen als Benachteiligte, Unterdrückte und im Machtkampf Unterlegene entwickelt. Diesem Denken liegt ein Konfliktmodell vom Geschlechterverhältnis zugrunde, das vielfach – bei aller Toleranz für unterschiedliche Auffassungen im Einzelnen – als die gemeinsame Grundposition von Feministinnen eingeschätzt wird. Viele Aktionen, Projekte und Schritte zum institutionellen Wandel konnten mit Hilfe einer unter Frauen weithin geteilten Einsicht in die unterschiedlich gelagerten Geschlechterinteressen entwickelt und durchgesetzt werden. Diese Politik hat Erfolge aufzuweisen. Und doch stellt der breite Konsens über die Notwendigkeit, Privilegien von Männern abzubauen und Frauen zu fördern, ein Problem dar, das zunehmend sichtbar wird und diffuses Unwohlgefühl erzeugt.

Frauenpolitik steht vor einem neuen „Problem ohne Namen“

Einige Anzeichen für das neue „Problem ohne Namen“ wären:

– dass nicht nur traditionelle Frauenverbände, sondern auch die alternativ-feministischen Frauenprojekte spürbar altern und unter Nachwuchsmangel leiden, weil sie bei jungen Frauen wenig Anklang finden;

– die Begeisterung, mit der im intellektuell-akademischen Kontext Ansätze zur Dekonstruktion und zur Umbenennung („gender studies“) aufgenommen werden, als sei endlich die Zeit gekommen, feministischen Ballast über Bord zu werfen;

– die Gefühle der Stagnation und Ermüdung bei langjährig aktiven Feministinnen, eine endlose „Sisyphos-Arbeit“ zu leisten, die zudem alle Lebensbereiche mit der Säuernis des „schon wieder“ durchdringt, nichts mehr unbefangen erleben oder genießen zu können;

– die Ratlosigkeit gutwilliger und einsichtsfähiger Männer, wenn sie in die feministische „Beziehungsfalle“ geraten: Sagen sie etwas zur Geschlechterfrage, ist es Anmaßung. Sagen sie nichts, ist es Desinteresse. Bleiben sie untätig, weil die Frauen ja das bessere Recht haben, den Weg zu bestimmen, ist das „typisch Mann“, und er will nichts verändern. Versuchen sie, sich aktiv gegen den Sexismus zu engagieren, ist das „typisch Mann“, er will das Kommando übernehmen;

– das Dilemma, mit Sonderprogrammen und speziellen Projekten ein Ghetto oder ein Nischen-Dasein neben der mächtigen Normalität einzurichten, mit der Gefahr, dass alle Frauen auf die dabei meist sehr begrenzten Ressourcen verwiesen werden oder sie ohne diese Programme ohnmächtig zusehen, wie Mädchen und Frauen untergebuttert werden.

Umverteilung garantiert kein neues Geschlechterverhältnis

Das Geschlechterverhältnis ist mit keiner anderen Form sozialer Ungleichheit wirklich vergleichbar. Frauen und Männer sind auf besondere Weise wechselseitig abhängig. Keine noch so erfolgreiche Umverteilung von Rechten und Ressourcen wird ein neues Geschlechterverhältnis hervorbringen. Da die Konkurrenz um knappe Ressourcen immer Gewinner und Verlierer kennt, erreichen wir keinen grundsätzlichen Wandel, wenn zu den Gewinnern ein paar Frauen mehr zählen.

„Gender equality“ bedeutet mehr als gleiche Chancen. Sie hieße, dass beide Geschlechter im öffentlichen wie im Bereich des persönlichen Lebens gleichermaßen sichtbar sind, gleichermaßen eigene Kompetenzen einbringen und handelnd das Leben gestalten können und sich im gleichen Umfang tatsächlich beteiligen. Dieses Ziel verlangt eine neue Geschlechterkultur, deren Werte, Normen, und soziale Praktiken das volle Potential aller Gesellschaftsmitglieder zur Entfaltung bringen können.

Das Problem liegt ja nicht in den Frauen oder in den Männern, und es entsteht schon gar nicht als Folge davon, wie sehr sich Angehörige der Gruppen untereinander oder quer zur Gruppe ähneln oder unterscheiden. Verändert werden muss die spezifische Relation, die das heutige Verhältnis zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen, zwischen Frauen und Männern ausmacht. Einer Geschlechterdemokratie nähern wir uns nur, indem wir das Verhältnis von Dominanz und Unterordnung überwinden, das der gegenwärtigen geschlechtsbezogenen Ungleichheit und Ungerechtigkeit innewohnt. Und das bedeutet nicht so sehr die Erfindung völlig neuer Maßnahmen und Ideen, sondern eher die schon vorhandenen Ansätze neu zu fassen, und zwar so, dass Frauen und Männer in einen sinnvollen Dialog eintreten und am dem Wandel aktiv mitwirken.

In der Frage der Geschlechtergerechtigkeit herrschen aber bisher Monologe oder Schweigen zwischen Frauen und Männern vor. Dies hat einer fatalen Verwirrung Vorschub geleistet: Der Einsatz für die Interessen und Bedürfnisse von Frauen wird mit einer Strategie für die Verwirklichung von Gleichberechtigung verwechselt. Beide sind notwendig, aber sie sind verschieden.

Anfangs war die Gleichsetzung beider naheliegend, da es Frauen waren, die mit ihrem Leidensdruck und Veränderungswillen voran drängten und aktive Maßnahmen zur Überwindung aller Formen von Diskriminierung der Frau forderten. Inzwischen wird weithin eingesehen, dass spezifische Unterstützung für Mädchen und Frauen organisiert und finanziert wird, dass sie ermutigt, bestärkt und gefördert werden, ihre Potentiale zu entfalten, über ihr Leben selbst zu bestimmen, und dass sie befähigt werden, erfolgreicher mit Jungen und Männern zu konkurrieren. Frauenpolitik wird als die Interessenvertretung der Frauen verstanden und zwar im doppelten Sinne: Einerseits soll die Vertreterin für Belange der Frauen von den Frauen beauftragt sein. Andererseits bilden die Frauen eine Klientel und eine Hausmacht für eine Politikerin im Frauenressort.

Die Tücken der Klientelpolitik

Mit der Klientelpolitik hat es aber seine Tücken. Um wirksam eingreifen zu können, haben die neuen Ressorts und Stellen sich an den gängigen Kriterien für politisches Gewicht messen lassen, etwa Größe des Etats, Stellenkegel, Anzahl der produzierten Schriftstücke, Häufigkeit der Pressemeldungen. Indem eine Frauenministerin sich so als mächtige Wohltäterin der Frauen inszeniert, schrumpfen die Frauen selbst zur Bedeutungslosigkeit, es wird für sie und mit ihnen gehandelt. Frauenpolitische Stellen sollen für die kontinuierliche und ausreichende Finanzierung von Frauenprojekten und Frauenprogrammen sorgen; indem sie diese aber in ihrem Haushalt verwalten (weil sie der Logik folgen, dass die Größe ihres Etats das Maß für die eigene Bedeutung ist), müssen sie selbst die knappen Mittel verteilen und die Streichungen verfügen. Es ist die Ausnahme geblieben, dass eine Frauenbeauftragte – wie in Bremen – einen eigenen Projekthaushalt ablehnt, damit sie für alle Projekte kämpfen kann. Diese Spannungslinien lassen erkennen: Eine Stelle innerhalb der Verwaltung zugleich als Interessenvertretung der Frauen zu verstehen, ist zumindest widersprüchlich.

Wenn dies zudem als Weg zur Verwirklichung der Gleichberechtigung oder gar der Geschlechterdemokratie gelten soll, muss das Geschlechterverhältnis als Nullsummenspiel entworfen werden, bei dem eine Gruppe nur gewinnen kann, wenn die andere verliert. Zugegeben, die Denkgewohnheit ist weit verbreitet, Politik als eine Frage des Gewinnens oder Verlierens zu fassen.

„Es wird Zeit, dass die Männer endlich zuhören“

Die gegenwärtige Diskussion um „gender mainstreaming“ könnte eine Möglichkeit bieten, die Geschlechterdemokratie als Aufgabe beider Geschlechter und aller Institutionen zu verstehen und so die zermürbende Einseitigkeit der Anstrengung zu überwinden. Als diese Diskussion anfing, bei der Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing, war die politische Kraft spürbar, aus den Nischen und Projekten heraus in den breiten Strom der gesellschaftlichen Entwicklung hineinwirken zu wollen. Am häufigsten hörte ich den Ausruf: „Es wird Zeit, dass die Männer endlich zuhören!“ „Mainstreaming“ war da eine schwungvolle Bewegung von unten nach oben, vom Rand in die Mitte, im Wissen, dass ohne uns nichts geht. Die Frauenorganisationen verlangen ein Gegenüber in Politik und Gesellschaft, das den notwendigen Wandel als Aufgabe begreift.

Bis zum Vertrag von Amsterdam allerdings hatte sich in der EU ein anderes Konzept von „mainstreaming“ durchgesetzt: ein Konzept, das von oben nach unten arbeiten soll und den Traditionen der Bürokratie restlos angepasst ist. Die Entscheidung darüber, welche Veränderungen anzustreben sind, wird an der Spitze der Organisation getroffen; es ist unerheblich, welches Geschlecht die an einer Entscheidung Beteiligten haben. Gender-Beauftragte werden benannt, die sich schulen lassen und sodann fundiertes Wissen über die Geschlechterverhältnisse einbringen. Es werden Analyseinstrumente entwickelt, Checklisten erarbeitet und schließlich Zielvorgaben festgelegt, deren Einhaltung regelmäßig kontrolliert wird. Von zentraler Bedeutung sind dabei Statistiken, wobei überall der Anteil von Frauen und Männern ebenso gemessen wird wie die jeweilige Höhe der Mittel. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass numerische Gleichheit der Nachweis erreichter Gleichberechtigung wäre.

Numerische Gleichheit ist nicht Gleichberechtigung

Mainstreaming in diesem Sinne kann im Einzelfall sehr wirksam sein. Wird beispielsweise in Zahlen belegt, dass die Sportförderung, die Jungen und Männern zugute kommt, dreimal so hoch ist wie für Mädchen und Frauen, entsteht Rechtfertigungsdruck. Der Fall liegt aber nur deshalb relativ klar, weil der Sport meist nach Geschlecht getrennt organisiert ist. Bei der Weiterbildung wäre zunächst noch offen, ob die von Frauen stark besuchten Angebote mehr Mittel bekommen sollen, oder ob daran zu arbeiten ist, mehr Frauen in die besser finanzierten Angebote zu bekommen, und da ist man schon bei der Frage, warum Frauen und Männer verschiedene Kurse belegen. Diese Strategie reicht also nur so weit, wie das schon vorhandene Wissen.

Strategien reichen nur so weit wie das beschränkte Wissen

Hierfür ein Beispiel: Eine „Bestandsaufnahme“ der gesundheitlichen Versorgung, die nicht von der Außenseiterperspektive der Frauengesundheitsbewegung sondern von der Spitze der großen Organisationen bestimmt wird, käme leicht zum Ergebnis, dass Frauen durchweg bevorzugt werden: Sie sind häufiger in ärztlicher Behandlung. Sie erhalten mehr Medikamente, werden insbesondere in der Schwangerschaft intensiv überwacht und sie „kosten“ das Gesundheitswesen mehr. Dass all dies kritisch als Diskriminierung von Frauen bewertet werden kann, im Sinne einer krankmachenden Über- und Fehlversorgung, käme in einer solchen Bestandsaufnahme nicht vor. Und ehe dies konkret vorkommen kann, müssen differenzierte Erkenntnisse gewonnen werden. Benötigt werden beispielsweise die systematische Erforschung der unterschiedlichen Verschreibungspraxis bei Frauen und Männern, Untersuchungen der Diagnosepraxis, der Behandlungsentscheidungen und Eingriffe. Die Pointe ist hier, dass wir diese Forschung gar nicht haben, die geschulten Gender-Beauftragten also kein entsprechendes Wissen einbringen würden, und es vielleicht gar nicht unerheblich wäre, ob diese Person eine Frau ist, die darauf kommen könnte, dass am vorhandenen Wissen etwas fehlt. Dreißig Jahre Frauenbewegung haben deutlich gezeigt, dass der Anschein des Wissens oft gerade die Scheuklappen bildet, die für einen wirklichen Wandel blind machen – und dass die Spitze einer Organisation zumal in der Verwaltung, weniger in neuen Start-Up-Unternehmen, oft die letzte Stelle ist, die unkonventionelle, innovative und kritische Stimmen zur Kenntnis nimmt. Mit dem engen Konzept von mainstreaming ist die Gefahr groß, dass nichts in die Mitte gerät, was nicht schon immer in der Mitte war.

Kein Werkzeug ersetzt einen guten Bauplan

Die vom Europarat eingesetzte Expertinnengruppe zu mainstreaming hat die Gefahren einer falsch verstandenen Anwendung sehr klar beschrieben. Sie betont, dass gender mainstreaming keinen Ersatz für Gleichberechtigungspolitik darstellt und diese nicht ablösen sollte, sondern sie ergänzt. Mainstreaming ist lediglich ein Werkzeug für den gesellschaftlichen Umbau, und zwar eines unter anderen. Es bietet ein verwal-tungskonformes Verfahren an, das dann zur Anwendung kommen kann, wenn ausreichend differenziertes Wissen verfügbar und der politische Wille gebildet worden ist, ressortübergreifend einem umfassenden Konzept der Geschlechterdemokratie zu folgen. Das Werkzeug ersetzt aber nicht den Bauplan.

So hätten wir zwar mit gender mainstreaming eine Methodik zur Hand, um Verwaltungshandeln besser zu organisieren. Die Frage bleibt aber offen, wie es zu den Zielsetzungen kommt, in welchem größeren Zusammenhang und wozu die Verwaltung diese Methode anwenden soll. Die Zukunftsaufgabe ist, eine umfassende Gleichberechtigungspolitik zu entwerfen und die Rolle der spezifischen Vertretung von Frauen und Fraueninteressen im Verhältnis dazu zu bestimmen.

Ich kann diese Aufgabe hier und heute nicht lösen, sie ist Auftrag an Politik und Gesellschaft insgesamt; ich erlaube mir nur einige Hinweise. So erscheint es mir unabdingbar, vom Konzept „Frauenpolitik“ mit ihrer ständigen Vermischung von Fraueninteressen und Geschlechterdemokratie Abschied zu nehmen. Alle Regierungsebenen sind verantwortlich für die Gestaltung einer Gesellschaft mit gleicher Teilhabe und Rechten der Geschlechter, in der nachhaltiges Wirtschaften, gesundheitsförderliche Lebensbedingungen und friedliche Konfliktbewältigung prägend sind. Diese Ziele sind untrennbar verwoben. Diese Vision von Zukunft muss vor allem aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt werden. Dies setzt lokale, offene und tolerante Dialoge voraus. An der Verwirklichung müssen beide Geschlechter beteiligt sein können.

Zugleich gilt es, selbstbewusst und mit erheblich mehr Klarheit die Interessen von Frauen zu vertreten und dies weitaus stärker als bisher als Aufgabe von Nicht-Regierungs-Organisationen zu sehen, die allerdings mit öffentlichen Mitteln bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen sind. In der Zivilgesellschaft werden neue Ansätze schneller wahrgenommen und umgesetzt. Vielleicht wäre die alte Idee eines „Bundesfrauenplans“, mit dem Mittel für die Arbeit unabhängiger Frauenorganisationen verteilt werden, neu zu diskutieren. Auch Männerorganisationen, die ernsthaft einen Wandel im Geschlechterverhältnis voranzubringen versuchen, sollten willkommene Partner im Dialog zwischen Politik und Gesellschaft sein. Das macht deutlich, dass beide, Männer- wie Frauenorganisationen, sich an ihren Zielen und Leistungen messen lassen müssen, statt davon zu zehren, dass sie eine Gruppe vertreten.

Auch für die Forschung stellt die Forderung nach bewusstem Wandel Aufgaben. Gerade bei main-streaming haben wir die Schlüsselbedeutung des Wissens gesehen: Hier wird der Bedarf an Partnerschaft zwischen Forschung und Zivilgesellschaft deutlich. Wenn wir sehen, dass in den Bereichen „Umwelt“ und „Frieden“ gemeinnützige Stiftungen entstanden sind, die Forschung in Auftrag geben können, stellt sich die Frage, ob dies nicht ein zukunftsweisender Weg wäre, den Wandel im Geschlechterverhältnis voranzutreiben. Mit einer „Bundesstiftung Geschlechterdemokratie“ könnten beispielsweise Erkenntnisse aus dem Ausland auf ihre Übertragbarkeit hin geprüft, Beispiele guter Praxis gesammelt und verbreitet und gezielt Aufträge an Frauenforschung und an Männerforschung vergeben werden, damit die Politik dort, wo Handeln besonders Not tut, auf Wissen zurückgreifen kann.

Wo ist in all dem der künftige Ort der „Gleichstellungsstellen“ zu finden? Das Recht der Frauen in Betrieben und Verwaltungen auf eine gewählte Interessenvertretung, der Personalvertretung vergleichbar, ist so lange nicht überholt, wie ihre Benachteiligung Realität ist. Für die staatlichen Stellen könnten während einer Übergangszeit die Aufgaben sogar unterschiedlicher werden als bisher. Mit der Zeit möchte ich aber hoffen, dass alle Länder der Bundesrepublik echte, unabhängige Stabsstellen für die Verwirklichung der Gleichberechtigung – im unfassenden Sinne von „gender equality“ – haben und sich dieser Stellen als Ressource bedienen. Das allerdings setzt voraus, dass die Regierungen Geschlechterdemokratie als ihren Auftrag und ihre Verantwortung gegenüber der Zukunft begreifen und sich nicht länger darauf verlassen, die „Frauenressorts“ werden sie schon darauf aufmerksam machen, wenn es „besondere“ Probleme gibt. Denn das Geschlechterverhältnis ist auch ein Problem der Gesundheit, der moralischen Integrität und der politischen Glaubwürdigkeit der Männer.

Prof. Dr. Carol Hagemann-White, Universität Osnabrück

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