: Vom braven Redakteur Streijk
■ Das Berliner Diktat gefährdet Bestand und journalistische Qualität der taz hamburg
Unter dem Aspekt der journalistischen Qualität ist die taz hamburg an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte angelangt. Die Frage ist, ob sich die taz von ihren eigenen Ansprüchen verabschieden muß, um derentwillen sie überhaupt gegründet wurde: eine kritische Stimme der Gegenöffentlichkeit zu sein, die sich für die Minderheiten und Schwachen in der Gesellschaft engagiert und die Argumente und Konzepte für eine ökologische, soziale und gerechtere Zukunft befördert.
Der Ausgang des momentanen Konflikts mit der Geschäftsführung in Berlin wird darüber entscheiden, ob die taz hamburg auch künftig eine ernstzunehmende Stimme in der Hamburger Medienlandschaft sein kann – oder ob die taz hamburg zu einem großen Teil darauf reduziert wird, Agenturmeldungen und Pressemitteilungen von Parteien, Verbänden, Initiativen u.ä. abzudrucken.
Wie es ist:
Rein rechnerisch wird der redaktionelle Teil von 6,2 RedakteurInnen pro Tag erstellt (wenn niemand krank ist). Darin eingeschlossen sind Telefondienst, Redaktionsassistenz, -Sekretariat, Fotoredaktion sowie die gesamte technische Herstellung (Layout, Umbruch, Korrekturen).
Aufgrund dieser dünnen Personallage können wir schon heute nicht immer alle Tagestermine (Pressekonferenzen u.ä.) wahrnehmen oder uns so intensiv komplexe Themen und Hintergrund-Recherchen widmen, wie es sinnvoll und erforderlich wäre.
Die Beschäftigung freier MitarbeiterInnen muß seit dem 1. Juli auf ein Minimum reduziert werden: Der Honorar-Etat wurde von der Geschäftsführung um fast 50 Prozent gekürzt.
Nebenbei bemerkt leistet jedes Redaktionsmitglied stillschweigend pro Woche fünf bis zehn unbezahlte Überstunden, ohne darauf hoffen zu dürfen, die irgendwann abbummeln zu können.
Wie es nicht werden darf:
Nach den Vorstellungen der Berliner Geschäftsführung sollen 2,5 bis 3 Stellen in der taz hamburg gestrichen werden, davon eineinhalb bis zwei Stellen in der Redaktion. Rein rechnerisch würde das bedeuten: Pro Erscheinungstag steht dann nur noch die Arbeitskraft von 5,2 bzw. 4,9 RedakteurInnen – incl. Telefonzentrale, Redaktionsassistenz, Fotoredaktion und technische Herstellung (Layout, Umbruch, Korrekturen) – zur Verfügung.
Da die taz hamburg durchschnittlich pro Erscheinungstag 4,66 Seiten redaktionellen Raum bietet (ohne Veranstaltungsseiten, Fischmarkt, Stellenmarkt etc.), hieße das faktisch, jedes Redaktionsmitglied hätte jeden Tag rund eine Seite mit Texten und Fotos zu versehen und technisch herzustellen. Dadurch dürften auch eher notdürftig redigierte Texte in die Zeitung kommen, der Anteil an selbst recherchierten Geschichten erheblich sinken und der Anteil an Agenturmeldungen von bislang etwa zehn Prozent drastisch gesteigert werden.
Ein Ausgleich durch die Erhöhung des Honorar-Etats, um mehr freie MitarbeiterInnen beschäftigen zu können, wird seitens der Geschäftsführung zugleich ausgeschlossen.
Es liegt auf der Hand, daß eine solche Zeitung keineswegs lebendiger, vielseitiger, umfassender, informativer, besser geschrieben und interessanter gestaltet sein wird als zum gegenwärtigen Zeitpunkt (an dem es bereits viel – und berechtigte – inhaltliche wie formale Kritik gibt).
Die Redaktion der taz hamburg würde zu „Schreibtischtätern“ verkommen, die Menschen und Ereignisse zum größten Teil nur noch via Telefon, Telefax und PC wahrnimmt. Verkümmern würden auch die persönlichen Kontakte, die bislang so manche Geschichte überhaupt erst ermöglichten: Vom Fall Dialle D., mit dessen Veröffentlichung die taz hamburg den Hamburger Polizeiskandal aufdeckte, erfuhren wir ausschließlich aufgrund unseres klaren inhaltlichen Profils und guter Kontakte einzelner RedakteurInnen.
Sich von beidem zu verabschieden, ist journalistische Selbstamputation.
Wie es sein könnte:
Die Belegschaft der taz hamburg hat sich bereits seit Frühling dieses Jahres intensiv mit der Frage beschäftigt, wie bei realistischer Betrachtung des Umstandes, daß die taz in Hamburg und anderswo noch nie auf Rosen gebettet war und dies wohl auch nie sein wird, eine wirtschaftlich solide Zeitung erstellt werden kann – ohne Einbußen an journalistischer Qualität.
Die erarbeiteten Konzepte, die nach unseren Vorstellungen zum 1. Oktober 1994 umgesetzt werden sollten, wurden im Sommer vom Berliner Vorstand und Berliner Geschäftsführung ohne Diskussion vom Tisch gewischt. Die inhaltliche Seite sei zweitrangig; es müsse eine „Sanierung“ in einem Ausmaß durchgeführt werden, das von der Belegschaft der taz hamburg als struktureller Kahlschlag und journalistischer Offenbarungseid gewertet wird.
Dem Berliner Diktat zum Trotz haben wir diese Konzepte weiter diskutiert und modifiziert. Sie gehen – kurz gefaßt – davon aus, daß die taz hamburg durch redaktionelle Schwerpunkte (Extras) in den Bereichen Kultur/Veranstaltungen, Ökologie, Bildung sowie Stadtteile redaktionell und inhaltlich weiterentwickelt wird, ein klareres journalistisches Profil gewinnt und sich zugleich eine wirtschaftlich gesunde Basis schafft.
Das ist, so meinen wir, im Interesse unserer LeserInnen; das ist, so wissen wir, im Interesse der MitarbeiterInnen der taz nicht nur in Hamburg; sollte das, so fragen wir uns, etwa nicht im Interesse der Berliner Geschäftsführung sein?
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