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Vom Verdauen der Geschichte

Was wird aus dem Foto, was aus seiner Beweiskraft, wenn alles täuschend echt, aber falsch sein kann? Die Preisträger:innen des 14. Wüstenrot-Förderpreises für Dokumentarfotografie kommen zu unterschiedlichen Antworten auf solche Fragen – zu sehen derzeit in Braunschweig

So war er, der Sozialismus: „o. T.“, Detail aus der Sektion „Die Blumengeste“/Werkserie „Pictures as a Promis2“ (2022)Foto: Ramona Schacht © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Von Bettina Maria Brosowsky

Wenig scheint noch derart so verlässlich: Alle zwei Jahre präsentiert das Museum für Photographie in Braunschweig die vier jeweiligen Preis­trä­ge­r:in­nen des Förderpreises Dokumentarfotografie der Wüstenrot Stiftung. Mit dieser Auszeichnung, 1994 in Kooperation mit der fotografischen Sammlung im Folkwang Museum Essen ins Leben gerufen, will die gemeinnützige Stiftung aus Baden-Württemberg solche Ab­sol­ven­t:in­nen fördern, die sich dem langen Atem komplexer Bildgeschichten aus der Lebenswirklichkeit verpflichtet fühlen.

Ausstellung „Dokumentarfotografie. Förderpreis der Wüstenrot Stiftung“: bis 14. 9., Braunschweig, Museum für Photographie

Bislang kamen 56 Fo­to­gra­f:in­nen von 20 Hochschulen und Akademien in diesen Genuss. Darunter sind 17 von der Hochschule für Grafik und Buchkunst HGB in Leipzig – mit Abstand am häufigste prämierte Institution. Nominiert werden die Teilnehmenden durch die Hochschulen, die Förderung umfasst ein Preisgeld und ein Produktionsbudget für eine Arbeit; die kann sich aus vorherigen Themen ergeben. Nach zwei Jahren geht alles auf Ausstellungstournee, ein kostenloser Katalog erscheint. Nun ist der 14. Jahrgang zu sehen, der 2023 ermittelt wurde; parallel gehen jetzt die Preis­trä­ge­r:in­nen der 15. Auslobung mit ihren Projekten an den Start.

Ist das fotografische Bild noch authentisch – und kein Deepfake?

Zwei Faktoren haben die Fotografie wie auch das Bewegtbild zuletzt grundlegend verändert. Zum einen die Digitalisierung sowohl des Aufnahmeverfahrens und der Nachbearbeitung als auch der Distribution von Bildergebnissen, beschleunigt durch die Beschränkung im öffentlichen Leben und Raum durch Corona. Andererseits der verstärkte Einsatz künstlicher Intelligenz als bildgeneratives Verfahren. Beides unterminiert das Vertrauen ins fotografische Bild: ist es noch authentisch, ist die dargestellte Situation wahr und kein Deepfake? Interessant: Wie verhalten sich junge Fo­to­gra­f:in­nen zu solchen nicht zuletzt ethischen Fragen? Im Katalog wird das „Dokument als Problem“ ausgemacht, die vier Ausstellenden, alle um 1990 geboren, fanden unterschiedliche Antworten.

Bilder von der Kohle-Front: „Ronnie“, fotografiert im umkämpften Lützerath Foto: Jana Bauch

Klassisch bildjournalistisch arbeitet Jana Bauch. Die Absolventin der Hochschule Düsseldorf begleitete Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen in Lützerath, mittlerweile dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallen. Deren Kommentare, auch zu ihrer Bildstrategie, ließ sie auf die Abzüge schreiben. Ramona Schacht, HGB Leipzig, aus Gifhorn stammend, hatte bereits 2022 in der Städtischen Galerie Wolfsburg auf ihr Archivmaterial aus Textilkombinaten im sowjetischen Kyjiw vertraut, ihre installative Dia-Maschine zeigte damals zehn quadratmetergroße Siebdrucke. Ihre neuer­lichen Siebdruckextrakte zeigen nun Arbeiterinnen, alle im gleichen Kittel, die wenig begeistert einer täglichen Indoktrination applaudieren. Begrüßung einer sowjetischen Delegation, Blumengaben bei Plansoll-Übererfüllung, Belehrungen im umgekehrten Falle: So ging es einst in der Spinnerei Leipzig zu, heute das lokale Galerie- und Atelierzentrum. Ihre Recherche ergänzt Schacht um ein Tableau aus bunten Dederon-Stoffen; die DDR-eigene Kunstfaser, zu Kittelschürzen konfektioniert, war der Exportschlager Richtung westdeutscher Versandhäuser.

Ein Nazi-Dokument dekonstruiert: „Siegel s7_13“ (2023) Foto: Marc Botschen

Marc Botschen, Absolvent der HFBK Hamburg, griff auf den „Ahnenpass“ seines Urgroßvaters zurück, zerlegte das NS-Dokument in vielen digitalen und reproduktiven Schritten, bis er seine Familiengeschichte physisch wie psychisch „verdaut“ hatte, wie er meint. Dudu Quintanilha von der Städelschule Frankfurt schließlich verfolgt in einer Video-Installation Mitglieder der örtlichen „Unstable Group“, früher Beschwerdechor, die in therapeutischer Absicht und für Performances zusammenkommen. Ihre Themen sind die Individualisierung, nicht unkompliziert im gemeinsamen kulturellen Prozess. Das Heilmittel: anderen zuhören und ihre Texte lesen. Im Video läuft beides nicht unbedingt synchron – eine feine, absurde Medienkritik, ganz im Sinne des „Problems Dokument“.

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