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Archiv-Artikel

Vom Talking Head zum Weltmusiker zum Universalgenie: David Byrne in der Fabrik Egal, was er tut, die Fans werden ihm verzeihen

„Ich hasse Weltmusik!“, hat David Byrne einmal gesagt. Damit wollte er, so schien es, eine Schublade aufstemmen – jene, in die man ihn seit Mitte der 80er ad acta gelegt hatte. Nach der Gründung seiner Plattenfirma Luaka Bop war Byrne für viele nur noch Weltmusiker. Es reichte ihm jedoch nicht, als Künstler verstanden zu werden, der sich allein durch exotische Klänge auszeichnet. Byrne wollte seine Musik ernst genommen wissen.

Gelungen ist ihm der Ausbruch nicht. Genauso hätte er fordern können, nicht mehr an seiner Arbeit mit den Talking Heads gemessen zu werden. Große Taten verfolgen einen Künstler. Und an Großem hat Byrne einiges geleistet, nicht nur als Manager seines Weltmusik-Labels. Wenn er sich eines Themas annahm, dann oft durchschlagend: Byrne wandte sich dem Chartpop zu und schrieb mit „Burning Down The House“ ein Talking-Heads-Stück, das selbst in Jahrzehnten noch jeden 80er-Sampler zieren wird. Er arbeitete mit Brian Eno und schuf mit My Life In The Bush Of Ghosts die erste Remix-LP der Popgeschichte. Byrne komponierte Soundtracks und gewann einen Oscar für den Soundtrack zum Film Der letzte Kaiser.

Kürzlich erschien Byrnes Soloalbum Growing Backwards, das er am Freitag in der Fabrik präsentieren wird. Selbstverständlich hat dessen Sound nichts mehr mit altem Talking-Heads-Material gemein. Und ebenso selbstverständlich wird das Publikum in der Fabrik dem ehemaligen Talking Head lauschen – nicht dem Künstler, der sich an Werken Bizets oder Verdis versucht.

Und vielleicht tut das Publikum gut daran. Schließlich erinnern Byrnes Klassik-Interpretationen doch arg an Crossover-Ausflüge à la Pavarotti and friends. Trotzdem: Es bereitet Freude, einem Musiker zuzuhören, der sich weiter alle Freiheiten nimmt. Da spielt es auch keine Rolle, dass hier einer mit zerbrechlicher Stimme intoniert. Und schließlich bietet Growing Backwards mehr als Verdi oder Bizet. Einen bissigen Kommentar auf das US-amerikanische Konzept vom Präventiv-Krieg zum Beispiel („Empire“). Mit „The Man Who Loved Beer“ griff Byrne außerdem auf einen Lambchop-Titel zurück. Fast scheint es, als hätte er in dieser Alternative-Country-Band Seelenverwandte gefunden. Lambchop-Boss Kurt Wagner zeichnet wie Byrne vor allem die Lust zum Unerwarteten aus, wenn er sich gleichermaßen an Nashville Country wie am 70er-Soul eines Curtis Mayfield versucht.

Byrne ist universeller Künstler, er drückte sich schon immer auch außerhalb der Musik aus. So entdeckte er etwa Microsofts Präsentations-Software Powerpoint als Kunstmedium. „Ich fand heraus, dass ich der Einzige war, der Powerpoint in dieser Weise nutzte“, sagt Byrne, der das Programm während einiger Lesungen eingesetzt hatte. Und wundert sich: „Sonst machen die Menschen Kunst mit allem möglichen Schrott, mit Pixelvision-Kameras zum Beispiel.“

Auch wenn es unwahrscheinlich ist: Sollte Byrne in der Fabrik auf „Burning Down The House“ oder andere Hits verzichten, seine Fans werden es ihm nachsehen. Denn wie den meisten so genannten Weltmusikern gewährt man ihm die Allround-Gnade. Eine Musik, die sich bei den Ressourcen der „Dritten Welt“ bedient, kann nicht wirklich schlecht sein. Und tatsächlich ist Growing Backwards kein Reinfall, sondern ein interessantes Album – selbst wenn oder gerade weil hier nur ansatzweise exotische Sounds durchklingen.

Es ist vermutlich dies, was Byrne an dem Begriff Weltmusik stört: die Ignoranz, mit der Marketing-Manager Stile verquirlen. Wenn Byrne also davon sprach, er hasse Weltmusik, fragte er sich wahrscheinlich nur: Wie lange wird die Welt noch jedes Lied aus Jamaika als Reggae bezeichnen? Die Antwort darauf lautet natürlich: Solange sich die Welt sogar Ostfriesen Schuhplattlertanzend ausmalt. Florian Zapf

Freitag, 20 Uhr, Fabrik