Vom Reiz der Leere

Malte Siegert arbeitet als Vogelschützer auf der Ostseeinsel Fehmarn – zwei Autostunden von Hamburg entfernt. in Eldorado für Windsurfer, doch im Spätherbst zeigt die Insel ihr ursprüngliches Gesicht

von MARINA FRIED

„Hinterm Horizont geht‘s weiter ...“, dudelt Udo Lindenberg aus dem Radio, als es über die Fehmarnsundbrücke geht. Ein paar Kilometer Landstraße weiter ist Endstation. Nur die Fähren der Vogelfluglinie von Puttgarden fahren weiter in Richtung Skandinavien. Dies ist das Ende der Ferienroute von den Alpen bis zur Ostsee.

Eine schmale Teerstraße führt hinauf zum Deich. Wochenanfang. Und wie jeden Montag fühlt er sich wie hergebeamt und verharrt – beeindruckt vom Kontrast seiner zwei Lebenswelten. Sein Blick schweift über die weiten Teich- und Wiesenflächen des Naturschutzgebietes. Unendliche Ruhe. Nur der ewige Westwind singt in den Bäumen und das Meer rauscht leise verlässlich – keine 100 Meter entfernt.

Malte Siegert, 38, pendelt jede Woche zwischen Hamburg-St. Georg, wo seine Familie lebt, und Fehmarn. Seit elf Monaten arbeitet er da, wo andere gerne Urlaub machen. Der Mitinhaber der Stadtteilkneipe „Geelhaus“ ist bis August 2004 Presse- und Öffentlichkeitsreferent für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) im Wasservogelreservat Wallnau. Hier muss jeder bei der Arbeit auch zupacken: Trecker fahren, die Schafherde umtreiben, Möwen beringen oder Besucher durchs Vogelschutzgebiet führen. „Besonders im ruhigen Inselwesten kann man kilometerlang auf dem Deich marschieren“, schwärmt der Großstädter über seinen Arbeitsplatz.

Die Insel Fehmarn in Ostholstein. Die Landschaft ist durch ihre fruchtbaren Böden landwirtschaftlich geprägt. Im Frühjahr stechen die knallgelben Rapsfelder mosaikartig zwischen den grünen Getreidefeldern hervor. „Goldene Krone im blauen Meer“, wird die Insel gerne umschmeichelt, und auch die Insel-Fahne symbolisiert das. Ein Blick in den Atlas lässt eher die Umrisse eines in Richtung Osten grasenden Bullen oder Bären erkennen und das kommt dem Landschaftsbild schon näher – jedenfalls im Herbst und Winter. Dann verwandelt sich die Gegend in ein Naturparadies.

Von November bis März ist die Ostsee-Insel wie ausgestorben. Aber gerade das macht ihren Reiz aus. Besonders für jene, die in der kalten Jahreszeit saubere Meeresluft und Abgeschiedenheit suchen: Im Winter wohnen etwa 12.500 Menschen auf der Insel, in den Ferienmonaten sind es bis zu 200.000. Viele Restaurants und Geschäfte schließen für die mehrmonatige Winterpause, auch das Kino am Ort macht dicht. Aber wer fährt schon auf eine Insel, um ins Kino zu gehen?

Drei Naturschutzgebiete, die vom NABU betreut werden, entstanden in den Randgebieten: Grüner Brink, Krummsteert und das Wasservogelreservat „Wallnau“. Dieses an der Westküste Fehmarns gelegene, knapp 300 Hektar große Naturschutzgebiet zählt mit seiner von Teichen, Schilfflächen und Wiesen geprägten Kulturlandschaft zu den wertvollsten und interessantesten Gebieten an der Ostsee. Etwa zehn Hektar des seit 1976 bestehenden Naturschutzgebietes sind öffentlich zugänglich. Der ein Kilometer lange „Pfad der Sinne“ erlaubt den Besuchern einen fast hautnahen Kontakt zu den frei lebenden Wildtieren, vor allem Vögel. Etwa 100 Millionen Vögel ziehen jährlich durch den Fehmarn-Belt. Bis zu 250 unterschiedliche Vogelarten können in Wallnau je nach Jahreszeit beobachtet werden. Ein Dorado für Ornithologen und solche, die nur schauen wollen.

Zurzeit wird das 100 Jahre alte Hauptgebäude des NABU-Wasservogelreservats Wallnau mit Mitteln der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der Europäischen Union vollständig modernisiert. Um die Zuschüsse des Landes reduzieren zu können, soll in den kommenden Jahren eine Bio-Fleischlinie aus Moorschnucken und Galloway-Rindern aufgebaut werden. Dafür will man sich zukünftig auch um gastronomische Partner auf der Ferieninsel bemühen.

Von November bis März ist der Eintritt in Wallnau frei. Für angemeldete Gruppen werden nach Absprache noch Führungen angeboten. Wer genug Natur bestaunt hat, kann in der City Fehmarns, dem Ostseeheilbad Burg, das umfangreiche Kurangebot nutzen sowie das Meerwasser-Wellenbad am Südstrand. Daneben gibt es einen Golfplatz und die größte künstliche Freikletteranlage Deutschlands. Und wer davon noch nicht genug beeindruckt ist, dem bietet Fehmarn noch drei Superlative: Die (ehemals) größte Modelleisenbahn Norddeutschlands, das Meereszentrum Fehmarn mit dem größten Hai-Aquarium Europas und den Windpark Fehmarn, der mit seinen 34 Konvertern als Deutschlands größter Windpark im Guinessbuch der Rekorde steht.

weitere Infos: www.nabu-wallnau.de, www.fehrmarn-online.de