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Archiv-Artikel

Vom Party-Geheimtipp zum Klassiker: „Kissogram“ aus Berlin in der Tanzhalle Kaputte und verwirrte Nachtmenschen

„Na, ich hoffe, ganz normal bei Pop und Indie!“ Genau dort nämlich soll das Debütalbum der Berliner Band Kissogram Anfang November in den Kisten der Plattenläden stehen. Jonas Poppe, Sänger des Duos, ist auf die Reaktionen gespannt. Immerhin tourte Kissogram kürzlich mit Peaches und räumte beim Publikum in ganz Europa gründlich ab. „In Frankreich waren die Leute am lockersten und kannten Peaches auch schon. Man schätzt da guten Pop.“ Deshalb entstand der Kissogram-Erstling auch in den „Studios Ferber“ im Osten von Paris; keine schlechte Adresse, auch Kollegen wie Khaled oder Nick Cave nehmen hier gerne ihre Songs auf.

The Secret Life of Captain Ferber ist eine Deluxe-Reise von Glamrock, Elektropop und New Wave hin zu kühlen, aber tanzbaren Synthesizer- und Gitarren-Attacken. Die skurrilen Texte und bizarren Themen wie etwa in „My Friend is a Seahorse“ passen perfekt zu diesem sehr speziellen Sound. Auf dem Album finden sich Stücke wie „Forsaken People Come to Me“, eine grandiose Pop-Hymne über die kaputten und verwirrten Nachtmenschen, die allesamt verlassen wurden und sich in einer Bar treffen; deren Besitzer ebenfalls verlassen wurde.

„Wir wollten einfache, schöne elektronische Songs machen, ohne uns an jemandem zu orientieren“, sagt Poppe, der 1999 mit Sebastian Dassé gleichzeitig begann, bei den Sitcom Warriors zu spielen. „Wir wurden dann mit Depeche Mode verglichen, aber die haben wir nie gehört. In meiner Plattensammlung steht viel aus den 50s und 60s. Noch etwas Punkrock, aber keine 80er-Platte!“

Kissogram verfügte seinerzeit genau über einen mittelmäßigen Synthesizer und einen Achtspur-Rekorder. Damit zogen die beiden durch etliche illegale Berliner Clubs und entwickelten sich zur ernst zu nehmenden Partycrew. Einige Tapes ihrer Auftritte gaben sie an Freunde wie den Künstler und Musiker Jim Avignon weiter, der sie an Dittmar Frohmann (Blaou Records) verlieh. Den Song „If I Had Known This Before“ veröffentlichte dieser zusammen mit einem Remix von DJ Woody, und Kissograms schwermütiger Discosong wurde zu einem Houseklassiker erster Wahl.

Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass ihr erster Longplayer auf dem neuen Berliner Label Louisville Records von Patrick Wagner (ex-Kitty-Yo) ebenfalls Klassiker-Status erreichen wird. Live sind sie fast so etwas wie eine Punk-Band, und das neue Album haben sie, ein paar Tage vor der Veröffentlichung, auch dabei. Johnny Stardust

Donnerstag, 21 Uhr, Tanzhalle St. Pauli