■ Vom Nachttisch geräumt: Vernunftehe
Im Wahljahr 1961 begann Günter Grass öffentlich für die SPD Partei zu ergreifen. 1993, als die SPD der Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes zustimmte und sich damit in der sogenannten Asylfrage auf die „CSU-Linie“ (so Grass) begab, verließ der Autor die Partei, deren beredtster Fürsprecher er drei Jahrzehnte lang gewesen war. In „Angestiftet, Partei zu ergreifen“ ist ein Stück der Geschichte dieser Affaire dokumentiert. Grass' Wahlreden, Gespräche und Aufsätze lassen erkennen, wie sich sein Verhältnis zur Partei änderte. Wie er ihr behutsam näherrückte und wie lange er brauchte, um wieder von ihr abrücken zu können. Den Schüchternen, die schon für das erste Rendezvous all ihren Mut zusammennehmen mußten, fällt die Trennung am schwersten. Wer den Band liest, sucht vergebens nach einem Moment der Leidenschaft. Liebe spielte in dieser Beziehung nie eine Rolle. Es gibt keinen Text, in dem Grass nicht deutlich die Partei und ihre Politiker kritisiert. Sein „Dich singe ich Es Pe De“ fehlt in dieser Sammlung. Aber auch dieses berühmte Gedicht ist eine genießerische Parodie, ein Abschmecken, ob so etwas geht, ob es literarisch funktioniert.
Die Reden und Aufsätze zeigen, heute gelesen, weniger, warum Grass sich so sehr für die SPD engagierte, als vielmehr mit welcher Anstrengung er sich selbst immer wieder dazu überzeugte. Ein Motor, der neunzig Prozent seiner Kraft brauchte, um sich selbst anzuwerfen. Eine extrem unökonomische Vernunftehe, die er da eingegangen war.
Günter Grass: „Angestiftet, Partei zu ergreifen“, dtv, 346 Seiten, 16,90 DM
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