■ Vom Nachttisch geräumt: MORGENSTERN
Soma Morgenstern (1890 bis 1976) war einer der engsten Freunde von Joseph Roth. Er lernte ihn auf einer Konferenz zionistischer galizischer Mittelschüler in Lemberg kennen. Das war 1909 oder 1910. Später arbeiteten Morgenstern und Roth beide für die Frankfurter Zeitung, und im Pariser Exil, wo Morgenstern an seinem ersten Roman schrieb, waren sie fast täglich zusammen. Sie tauschten freundliche kleine Gemeinheiten aus. Vor allem natürlich über Kollegen. Morgenstern erzählt genüßlich, wie Roth sich über Hermann Kesten ausließ, wie sie kein gutes Haar an Thomas Mann ließen und weist mehr amüsiert als verärgert auf Roths eingeborene Lust an der Flunkerei hin. Es war ein böser Dämon in ihm, der seine Lust darin fand, seinen Freunden Schaden zuzufügen. Morgenstern ist ein glänzender Erzähler, ein Meister der beiseite gesprochenen Wahrheiten. Wenn er z.B. von einem 17jährigen Kellner spricht, mit dem Roth sich gut verstand, dann schließt diese kleine Geschichte mit dem Satz, nach Roths Tod habe der junge Mann Morgenstern immer mal wieder besucht, „wenn ich nicht gerade in einem Konzentrationslager war“. Das fährt dem Leser in die Knochen, und auch der Harthäutigste kapiert, auf welch finsterem Grund hier so amüsabel erzählt wird.
Der Verlag will Morgensterns Romane demnächst vorlegen. Ich freue mich darauf. Die Erinnerungen an Roth hat Ingolf Schulte herausgegeben. Mit heiterer Penibilität werden Morgensterns Erinnerungsfehler, Roths Lügengespinste auseinandergenommen und korrigiert. Ein Genuß auch das.
Soma Morgenstern: „Joseph Roths Flucht und Ende – Erinnerungen“. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ingolf Schulte, zu Klampen Verlag, Lüneburg 1994, 330 Seiten, 68DM.
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