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Vom Nachttisch geräumt: Schneiderphilosophie

Thomas Carlyles Sartor Resartus ist ein Klassiker. 1833/34 erstmals erschienen, und bald danach ein Kultbuch. Es ist die fingierte Biographie eines deutschen Professors und die Vorstellung seines natürlich ebenso fiktiven Hauptwerkes „Die Kleider, ihr Werden und Wirken“. Carlyle hält seinem englischen Publikum, seinen Zeitgenossen, aber auch uns den Spiegel der merkwürdigen Ansichten des Professor Teufelsdröckh hin, und wir finden uns in dieser von Jean Paul inspirierten Figur zur Kenntlichkeit entstellt wieder.

Der Herr Professor sieht die Welt durch das Glas seines obsessiv besetzten Themas. Die Kleiderfrage ist die alles ver- und alles enthüllende Metapher. Daneben tausend Abschweifungen, verschnörkelte Gedankenwege, auf denen die schönsten Entdeckungen gemacht werden. Der entscheidende Kniff von Carlyles Präsentation liegt darin, daß die Verschrobenheit seines Helden automatisch eine amüsierte Distanz erlaubt, die der ernsten Großartigkeit mancher Ideen nur oberflächlich Abbruch tut, sie aber in Wahreit plastischer herausstellt, überraschender und prägnanter herausarbeitet. Die Ironie ist auch bei Carlyle die Sprache der Liebe. Er macht sich lustig über das, was er verehrt und begehrt. Die philosophischen Reden, die metaphysischen Reflektionen, die der deutsche Professor anstellt, faszinieren Carlyle. Es geht ihm darum, sie unter die Leute zu bringen. Aber er schließt das süße Marzipan in die bittere Schokolade der distanzierenden Ironie. Desto besser schmeckt das Innere.

Es ist ein Vergnügen, Carlyle zuzusehen, wie er Praliné an Praliné reiht und darauf achtet, daß der Leser immer wieder nach dem nächsten greift, angezogen vom Reiz der Kontraste, vom Spiel und Widerspiel der richtigen Adjektive, der gekonnten Stemmbögen dialektisch sich ver- und entwickelnder Perioden.

Ohne Peter Staengles virtuose Übersetzung wäre von diesem Vergnügen nichts herübergekommen ins von Carlyle so bezwingend parodierte Deutsche. Staengles Anmerkungen und Nachwort machen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Buches, auch die mehr als ambivalente Figur des Autors deutlich.

Thomas Carlyle: Sartor Resartus. Übersetzt von Peter Staengle, Manesse-Verlag, 455Seiten, 29,90DM

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