■ Bonn apart: Vom Horrorpaket zur Traumzeit
Es fing an wie immer. Auf der gemeinsamen Veranstaltung von SPD und Gewerkschaften hatten die üblichen Horrorbotschaften über grausame Sparpakete und anderes die Augenlider bleischwer werden lassen, obwohl sie doch gerade dafür gedacht waren, den Medien etwas zum Schnappen zu bieten. Da scherte einer aus dem auf- und abschwellenden Wortrhythmus aus: Klaus Lang von der IG Metall. Er schlug vor, von der CDU zu lernen. Die habe der Bevölkerung mit geschönten Zahlen über Arbeitslosenabbau derart Honig ums Maul geschmiert, daß es die Wähler geglaubt und honoriert hätten. 500.000 Arbeitsplätze durch die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes hier, 500.000 durch die Lockerung beim Kündigungsschutz dort und eine weitere Million hier und dort durch die anderen Segnungen des Sparpakets. Was die können, können wir auch, schlußfolgerte der Gewerkschafter. „Wenn wir das nicht so machen“, drohte er, „dann verlieren wir.“
Wenn sich Klaus Lang durchsetzt, dann stehen uns wahrhaft rosige Zeiten bevor. Stellen uns die einen zwei Millionen neue Arbeitsplätze in Aussicht, werden uns die anderen zweieinhalb versprechen, schon bald werden wir auf dem historischen Höchststand von garantiert zehn Millionen neuen Arbeitsplätzen angelangt sein. Die Rüstungsspirale ist out, es lebe die Hoffnungsspirale! Das Horrorpaket, das uns seit Monaten bis in unsere Träume begleitet, das Sparpaket der Bundesregierung, wird sich in Wohlgefallen auflösen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird – versprochen – nicht gekürzt, auf keinen Fall gekürzt, schließlich angehoben. Der Kündigungsschutz wird – garantiert – ausgeweitet auf Betriebe mit vier, dann mit drei Mitarbeitern, schließlich wird es einen Beschäftigungszwang von mindestens fünf Mitarbeitern geben. Endlich werden die Medien ihre tiefe Sehnsucht verwirklichen können, mehr Positives zu vermelden. Zeitungen werden sich umbenennen in Neue Hoffnung, Neueste Hoffnung, Allerneueste Hoffung.
Unser Zeitalter der Depressionen wird durch hope and glory geprägt. Die Arbeitslosen werden konsumieren, weil sie sich sicher sind, daß genug Arbeit für alle vorhanden ist, die Industrie wird investieren wie verrückt, um die Nachfrage befriedigen zu können.
Alles wird gut. Und das nur durch ein ganz klein bißchen Flunkerei. Markus Franz
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