: Vom Grundrecht, ordinär zu sein
■ Bayerischer Liedermacher zu Geldstrafe wegen Beleidigung von totem Ministerpräsidenten verurteilt / Über Strauß, Minister Stoiber und den wieder zu Parteiehren gekommenen Staatssekretär Gauweiler
München (taz) - „Das steht in der auch jetzt noch vorhandenen, alten bayerischen Tradition von obrigkeitswidrigem Denken“, gibt der Münchner Staatsanwalt Gerhard Mützel schmunzelnd zu. Denn: „Jetzt kann man nicht mehr wildern, aber die Obrigkeit verbal aufzwicken“, weiß der Staatsdiener des Freistaats. „Aber immer mal kommt a Jager daher und dann gibt's an Prozeß“, freut er sich weiter über seinen gelungenen Vergleich.
Die „Jager“ waren im Fall des bayerischen Liedermachers Hans Söllner Polizeibeamte. Ganz im Dienst saßen sie in seinen Konzerten quer durch den Freistaat und notierten jede ihnen verdächtige „Ehrverletzung“ in seinen bissigen Texten gegen die „Obrigkeit“. Von Strauß über Gauweiler bis Stoiber, wurde da jeder bayrisch-gschert „aufgezwickt“. Diese 333 Seiten Notizen leiteten sie dann ans Justizministerium weiter. „Gerichtsmäßig“ wurde das Ganze erst, als der inzwischen verstorbene Ministerpräsident F.J.S. als eine seiner letzten Amtshandlungen, und mit ihm Stoiber und Gauweiler, Strafanzeige stellte.
15.000 Mark sollte Söllner zahlen. Das Amtsgericht verwarnte ihn damals lediglich. Das war dem Staatsanwalt zu wenig fürs verbale „wildern“. Deshalb fordert Staatsanwalt Mützel diesmal eine saftige Geldstrafe von 10.500 Mark. Denn schließlich: „Die Bezeichnung des Herrn Gauweiler als verkappten Homo ist ein Schlag unter die Gürtellinie, die mit Kritik am Aidskatalog nur lose etwas zu tun hat“, so der Staatsanwalt. Daß Söllner wie er sagt, den bayrischen „Saubermann“ Gauweiler, der die Grüne Jutta Ditfurth schon mal als „Politschlampe“ bezeichnete, damit nur spüren lassen wollte, wie es sich anfühlt, auch mal diskriminiert zu werden, zählt vor Gericht nicht. Und auch nicht der Grundsatz von Kurt Tucholsky, nachdem die Satire alles darf. „Er ist ein ganz radikaler Liberaler, er fordert das Grundrecht der Gleichheit“, betont Söllners Verteidiger, der Münchner Rechtsanwalt Jürgen Arnold. Denn - wenn überhaupt soll nicht nur die Obrigkeit „hetzen“ dürfen.
Dafür hat Richter Eduard Krapf jedoch überhaupt kein Verständnis. „Auch unter Anwendung des Menschenverstandes, den wir schon glauben, daß wir den haben, ist das eine Beleidigung“, so der Richter. Außerdem sei die „Freiheit der Kunst nicht grenzenlos“. Um massive Formalbeleidigungen handle es sich, wenn Söllner den verstorbenen Ministerpräsidenten etwa als „Überasozialen“ bezeichne. Ebenso die Äußerung, „Strauß läßt wixen, nicht umsonst ist Stoiber seine rechte Hand“. Richter Krapf verdonnerte Söllner deshalb zu einer Geldstrafe von 8.400 Mark. „Ihnen paßt halt nicht die Politik, aber das geht halt einfach zu weit“, meint Richter Krapf.
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