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Archiv-Artikel

Vom Fußball bis zur Hochkultur

Nächstes Wochenende treffen sich in Bremen Gruppenanalytiker aus ganz Deutschland – es geht um so ziemlich alles zum Thema Gruppenorganisation. Bremer Promis stehen Schlange. Zuviel Programm? Ach was, sagt Rudolf Heltzel: „Wir mögen das“

Um Werder, Fundamentalismus, die Kammerphilharmonie und Bremer Identität geht es bei der Fachtagung für Supervision und Organisationsberatung, die vom kommenden Freitag bis Sonntag in Bremen stattfindet (siehe Kasten). Jede Menge Promis sind dabei: Für Franz Böhmert, der im Dezember gestorben ist, kommt von Werder Hubertus Hess-Grunewald. Marco Bode, Hans Koschnick, Willi Lemke, Klaus Pierwoß und Henning Scherf geben sich die Klinke in die Hand. Das Ganze wird organisiert von der „Sektion Analytische Gruppenpsychotherapie“ des Deutschen Arbeitskreises für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik“ – klingt hoch speziell, hat aber ganz handfeste Hintergründe. Welche, erklärt der Mit-Organisator der Tagung, Dr. Rudolf Heltzel.

taz: Was geschieht in einer gruppenanalytischen Supervision?Rudolf Heltzel: Ich spreche mit Gruppen von Mitarbeitern oder Leitenden, höre mir Probleme, Herausforderungen, Belastungen und Ideen zur Arbeit an und versuche, eine gruppenbezogene Reflexion zu fördern.

Das heißt, die Leute können sich bei Ihnen über Ihre Kollegen ausheulen?Es geht tiefer. Wir besprechen, was die Arbeit mit den Mitarbeitern macht. Das ist oft sehr belastend. Beispielsweise für Lehrer, die mit gewaltbereiten Schülern zu tun haben. Ein anderes Beispiel wäre der schwierige Patient in Klinikeinrichtungen: Es gibt Patienten, die sagen, der eine Arzt sei gut, der andere böse. Die eine Schwester sei freundlich, die andere nicht. Solche Patienten versuchen, das Team zu spalten. Und das wirkt auch. Das spiegelt sich in der Gruppe wieder. Oft passiert es dann, dass die Belegschaft untereinander Knatsch bekommt. Der Klassiker ist der Konflikt zwischen Pflegepersonal und Ärzten. Und der Witz an der Sache ist: Teamkonflikte wirken auch auf die Patienten zurück, die spüren das.

Dann kommen Sie.Als Gruppenanalytiker hört man sich das unparteiisch an und versucht, einen Austausch in der Gruppe zu fördern. Es ist nicht so, dass wir die Klugen sind und immer wissen, wie’s gemacht werden soll. Wir haben vielmehr einen Blick auf die Gruppe als Ganzes und versuchen, sie so zu begleiten, dass die Ressourcen des Teams entwickelt werden. Und wir versuchen zu verstehen, wie teambezogene und klientenbezogene Konflikte miteinander zusammenhängen. Das ist der Pfiff daran.

Was hat sich verändert in den Jahren, in denen Sie Teams solcherart beraten?Es gibt viel mehr Zuspitzungen und Umbrüche. Die Flexibilisierung des Lebens und der Arbeitsfelder hat stark zugenommen, das spiegelt sich vollständig in den Organisationen wider, mit denen ich arbeite. Die Unsicherheit der Arbeitsplätze schwingt dauernd mit: Die Menschen sind sehr verunsichert. Arbeit wird hochgradig verdichtet. Darüber hinaus geht es immer öfter um die Existenzgefährdung einer Einrichtung als Ganzes.

Braucht da der Supervisor nicht auch Supervision?Ganz klar. Neulich hatte ich hier eine Supervisionsrunde für Supervisoren – da war die Belastung mit Händen zu greifen. Aber die Gruppe hilft dann, das auszuhalten, zu verstehen und neue Kraft zu schöpfen.

Aber der Ausblick ist ja kein schöner. Die Belastungen, die Ihre Klienten und damit auch Sie in Ihrer Arbeit erleben, werden nicht weniger. Wie geht man mit stetig steigendem Druck um?Gruppenanalytiker neigen nicht zum Klagen. Wir sehen darin eine Herausforderung, die auch Freude macht. Auch wenn man mitunter ums Überleben kämpft: Man darf den Optimismus nicht verlieren. Und Humor hilft auch.

Auf Ihrer Fachtagung geht es um Fußball, Fundamentalismus, die Kammerphilharmonie und bremische Identität – ist das nicht ein bisschen viel?Wir mögen das.

Bitte?Die Vielfalt der Themen ist Absicht und sehr gruppenanalytisch. Wenn man in einer Gruppe Therapeut ist, sitzt man zehn Menschen gegenüber, zehn Schicksalen, zehn ganz unterschiedlichen Lebenswegen. Wir üben dauernd, sehr vielfältige Informationen aufzunehmen und Komplexität auszuhalten. So sieht auch die Tagung aus. Das ist spannend.

Was macht Fußball denn so spannend – aus gruppenanalytischer Sicht?Im Fußball und im Fangeschehen ist ja ganz viel Gruppendynamik. Das macht das Stadion als Ort so faszinierend. Ich bin seit einem dreiviertel Jahr mit der Werder-Vereinsführung und mit dem Fan-Projekt im Gespräch. Wie die diese gute Kultur im Miteinander hinkriegen, ist bemerkenswert.

Und das ganz ohne Gruppenanalytiker.

Stimmt. Die machen das auch ohne uns gut. Und das wollen wir uns bei der Tagung auch angucken.

Wie funktioniert das?Wir wollen an unserem ersten Tagungstag einen Austausch über Fankultur initiieren: zwischen Verein, Profivertretern, Fans, Fanmitarbeitern und Gruppenanalytikern. Es sollen auch ruhig Ambivalenzen oder Konflikte zum Ausdruck kommen.

Sozusagen unter therapeutischer Anleitung.Das wäre ein Missverständnis. Wir sitzen da nicht als die Experten, die alles besser wissen. Im Gegenteil: Wir lernen davon – Wie funktioniert so ein Austausch? Als ich in den vergangenen Monaten mit Werder gesprochen habe, habe ich vor allem meine Ohren aufgesperrt. Und unglaublich viel gelernt. Darüber werde ich dann am Abend des ersten Tages berichten.

Das Fazit Ihrer Werder-Analyse?Fußball hat ganz viel mit der Region und mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Der Region geht es nicht gut. Was Fußballfans wirklich wünschen, ist ein tiefes Gemeinschaftsgefühl – um so mehr, wenn’s einem schlecht geht. Und das schafft dieser Verein einfach.

Weiteres großes Thema der Tagung ist die Deutsche Kammerphilharmonie. Was interessiert Sie denn daran?Das ist ein Orchester mit Weltklasse. Und es ist selbstverwaltet. Und bringt damit Höchstleistung. Diese Organisationskultur ist es, die uns interessiert. So schlagen wir den Bogen vom Fußball bis zur Hochkultur.

Henning Scherf kommt auch und spricht über „Gegenwart und Zukunft städtischer Kultur am Beispiel Bremens“ – da gibt es ja viel zu sagen, und derzeit nicht nur Gutes. „Vortrag und Diskussion“ steht im Programm. Glauben Sie, Sie werden mit Henning Scherf über die derzeitige Lage Bremens diskutieren können?Da sind wir Gruppenanalytiker prinzipiell ganz optimistisch.

Fragen: Susanne Gieffers