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Voller Verachtung

Für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD liegen, so das Verwaltungsgericht Köln, „ausreichende Anhaltspunkte“ vor. Die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln kann auf die ganze Partei ausgedehnt werden. Und sie ist dringend geboten, wie sich im Landtag von Baden-Württemberg zeigt.

Von Johanna Henkel-Waidhofer↓

Öffentliche Äußerungen sind erste Belege dafür, dass unbedingt erhellt werden muss, was hinter den Kulissen der „Alternative für Deutschland“ geschieht. „Die diesem Tagesordnungspunkt zugrunde liegende Drucksache könnte auch heißen: Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das intellektuelle und moralische Vermögen – oder besser: Unvermögen – der Spezialdemokraten“, so leitet Hans-Jürgen Goßner seine Parlamentsrede zu „Antisemitismus, Rechtsextremismus und die verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein. Und die CDU warnt der sicherheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion vor dem Ende der Zweckgemeinschaft mit den Grünen, weil sie spätestens dann ebenfalls zur Zielscheibe der „Brigate Rosse aus SPD und Grünen“ werde.

Goßner fing sich unlängst einen Ordnungsruf ein, hätte eigentlich aber nachsitzen müssen in Anstand und Geschichte. Die Roten Brigaden haben einst in Italien mindestens 128 Menschen ermordet, da­runter 1978 nach eineinhalb Monaten Geisel­haft Ex-Ministerpräsident Aldo Moro. Derartige Gleichsetzungen sind für AfD-Abgeordnete inzwischen geradezu selbstverständlich. Der 41-Jährige spricht gern von Kartellpolitikern, wenn er Grüne, Schwarze, Rote oder Libe­rale meint. Und von einer entgrenzten pseudo­religiösen Menschheitsutopie, wenn er über das Migrationspapier der beiden großen christlichen Kirchen herfällt und Bischöfen die Verwechslung von Nächsten- und Fern­stenliebe vorwirft oder Nancy Faeser als „Innenministerdarstellerin“ schmäht.

Verhetzende Formulierungen im politischen Alltag

Der Göppinger Nachfolger des später aus Partei und Fraktion ausgetretenen Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner steht mit seinen Verbalinjurien deshalb so exemplarisch für die Partei, weil er von sich behauptet, ideologiefrei und mit gesundem Menschenverstand die Dinge anzugehen. Da ist es offenbar höchste Eisenbahn, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz den Hintergründen dieser Art von gesundem Menschenverstand annimmt. Die AfD, schreibt die 13. Kölner Kammer in ihrem Urteil, befinde sich in einem Richtungsstreit, „bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten“. Nicht erforderlich sei für eine Einstufung als Verdachtsfall, dass eine Partei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde.

Mehr Einblick zu bekommen in Zustände, Ziele und Strategien wäre auch deshalb nötig, weil das, was vor den Kulissen stattfindet, langsam aber stetig in den poli­tischen Alltagsbetrieb des Landtags einsickert. In Plenardebatten ist es unmöglich, jede verhetzende Formulierung zu rügen, ganz zu schweigen vom Netz, wo es jahrelang als freie Meinungs­äuße­rung durchging, wenn Angela Merkel nur Ferkel oder Joachim Gauck Bundesgauckler genannt wurden. Die Koordinaten haben sich verschoben, weil es viel zu viele Aufreger gibt, die mittlerweile kraft schierer Masse eine Grauzone rund um die Delegitimierung der freiheitlichen Grundordnung entstehen lassen.

Das Kalkül ist nur zu augenfällig, aber noch zu selten justiziabel. Goßners Auftritt findet nur fünf Wochen nach einem anderen, noch größeren Eklat statt. Miguel Klauß, der neue Calwer Abgeordnete, ist aus der Plenardebatte geflogen und für zwei Sitzungen ausgeschlossen worden. Er hatte Gaucks Nachfolger Frank-Walter Steinmeier als Spalter und Hetzer und den schlechtesten Bundes präsidenten aller Zeiten attackiert. In einer ersten Reaktion rügt Landtags-Vizepräsident Wolfgang Reinhart (CDU) die Wortwahl des 35-Jährigen als „absolut unvertretbar“. Der keilt sofort nach: „Ich wusste gar nicht, dass Sie schon in einer Monarchie leben und Majestätsbeleidigung schlecht ist, aber ich akzeptiere die Meinung nicht.“ Später tagt das Präsi­dium. Klauß’ Verhalten wird sanktioniert mit dem Ausschluss von drei Sitzungen, was ihm aber bei seinen AnhängerInnen Pluspunkte einträgt. Deshalb muss der Bundesverfassungsschutz ran.

Gerade bei Abgeordneten ist der Grat aber schmal. Das Bundesverfassungsgericht hat vor fast zehn Jahren entschieden, einer Überwachung müssten „Anhaltspunkte“ dafür zugrunde liegen, dass das Abgeordnetenmandat zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft werde. Auch der Plenarsaal im Stuttgarter Landtag ist allerdings Schauplatz zahlreicher Vernehmungen von ZeugInnen in den beiden NSU-Untersuchungsausschüssen, bei denen offenbar wurde, wie die Bekämpfung genau dieser Grundordnung lange Zeit entschieden zu eng gefasst wurde. Denn (nicht allein der rechte) Terror entsteht und gewinnt an Boden, wenn verbale Gewalt für einen harten Kern von DemokratiegegnerInnen zur Initialzündung für den bewaffneten Kampf gegen den Staat wird.

Maximale Unverschämtheit, höchste Aufmerksamkeit

Was aus der AfD wird im hiesigen Landtag, ist von erheblicher Bedeutung für die ganze Partei. Denn der alte und neue Fraktionschef Bernd Gögel hatte zu Beginn der Legislaturperiode die Erwartung geäußert, die Versuche, durch maximale Unverschämtheiten maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen, würden der Vergangenheit angehören. Gögel hat sich geirrt. Zwar musste bisher – anders als in der ersten Periode – kein Abgeordneter von der Polizei aus dem Saal getragen werden. Geblieben sind aber die Dreistigkeit im Umgang mit den anderen vier Fraktionen, mit sensiblen Themen wie etwa dem politischen Extremismus und die Unzahl von Verdrehungen, Unterstellungen und absurden Pseudoparallelen, um vorrangig den Staat oder die Europäische Union schlecht zu machen.

Ebenso geblieben ist offenbar die Unfähigkeit, intern für eine Kursänderung zu sorgen. Emil Sänze, der frühere Fraktionsvize und Kämpfer für den „Markenkern“ der AfD – genauer: für ein Profil am sehr rechten Rand –, zeichnet in nahezu jeder Rede und jeder Pressemitteilung ein abwegiges Zerrbild der EU. So wird in seiner Scheinrealität das Thema Rechtsstaatlichkeit missbraucht, um Polen und Ungarn zu unterwerfen und um „den totalen EU-Einheitsstaat und die endgültige Auflösung der Nationalstaaten, vor allem des deutschen“ durchzusetzen.

Sänze ist auch Gegenstand jenes Gutachtens, mit dem der Bundesverfassungsschutz sein Vorgehen begründet. Der Rottweiler Abgeordnete suggeriere „die Notwendigkeit gewaltsamen Widerstands“, heißt es da, und spreche vom „Merkel-Regime“. Genannt wird Rainer Balzer (Bruchsal), der in den Sozialen Medien Fotomontagen veröffentlicht habe, welche die Ex-Kanzlerin mit Adolf Hitler gleichsetzen: Auf einem Bild ist sie beim Handschlag mit dem saudischen Politiker Ibrahim Abdulaziz Al-Assaf zu sehen, direkt darunter das Bild vom Handschlag Hitlers mit Reichspräsident Paul von Hindenburg 1933 vor der Garnisonskirche in Potsdam.

Der Mut der vielen gegen die Wut der wenigen

Erwähnt im Gutachten wird ferner Hans-Peter Hörner (Balingen), der dem formal zwar aufgelösten, aber informell weiter vorhandenen „Flügel“ nahe stehe. Und schließlich kommt Gögel vor, der Vorsitzende der Landtagsfraktion. Der Mann mit der sonoren Stimme und dem seriösen Äußeren wurde vor allem im Landtagswahlkampf vielfach als gemäßigt beschrieben, sogar als „pragmatischer Pa­triot“, so die „Badische Zeitung“. Trotzdem sind seine Reden kaum noch von natio­nalis­tischen, hoch aggressiven Brandreden voller Verachtung für das politische Establishment zu unterscheiden. Dem Bundesverfassungsschutz fiel beispielsweise auf, wie er von Corona den Bogen zu Flüchtlingen als „weit gefährlicherer Welle“ schlug.

Für die Grünen nutzte Oliver Hildenbrand, der Innenexperte der Fraktion und frühere Landesvorsitzende, die Extremismus-Debatte im Landtag speziell dazu, denjenigen den Rücken zu stärken, die sich „in Parteien und Vereinen, in Verbänden und Organisationen, in Behörden und Kommunen für unsere Demokratie engagieren“: Der Wut der wenigen werde auf diese Weise der Mut der vielen entgegengesetzt. Und Landtagspräsidentin Muhterem Aras, selbst regelmäßig persönlich verunglimpft von der AfD, hatte Klauß’ Ausschluss verbunden mit der Erwartung, dass derartige verbale Entgleisungen Einzelfälle bleiben. Allerdings: In den ersten 30 Sitzungen der neuen Legislaturperiode konnte davon keine Rede sein.

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