Volkszählung in Deutschland: Fragen über Fragen
Nun werden die Deutschen durchgezählt. Der Staat fragt, die taz gibt die wichtigsten Antworten zum Zensus. Auch: Was mit den Daten nicht geschehen darf.
Was bezweckt der Zensus?
Zunächst geht es darum herauszufinden, wie viele Einwohner in den deutschen Städten und Gemeinden leben. Die bisher angenommene Einwohnerzahl von 81,8 Millionen ist vermutlich zu hoch. Außerdem argumentieren die Behörden, man brauche frische Zahlen, um Wohnungen, Altenheime und Kindergärten planen zu können. Die letzte Volksbefragung liegt 24 Jahre zurück.
Was kostet die Volkszählung?
710 Millionen Euro. Dazu kommen 5,5 Millionen Euro für die begleitende Werbekampagne. Trotzdem herrscht große Verunsicherung in der Bevölkerung. Die Statistischen Landesämter bestätigten am Montag, dass ihre Hotlines überlaufen sind.
Warum heißt es "registergestützter" Zensus?
Zwei Drittel der Bevölkerung werden vom Zensus nichts mitbekommen - ihre Daten werden aber trotzdem ausgewertet. Dafür werden Daten aus Melderegistern und von der Arbeitsagentur zusammengeführt, bei den 1,8 Millionen Beamten werden Angaben bei den öffentlichen Arbeitgebern eingeholt. Weil diese Daten aber nicht immer stimmen, werden zusätzlich zehn Prozent der Bevölkerung stichprobenartig befragt.
Wie erfahre ich, ob ich mitmachen muss?
Knapp acht Millionen Menschen werden direkt befragt. Wer zu den zufällig Ausgewählten zählt, bekommt schriftlich mitgeteilt, wann die amtlichen Volkszähler vorbeikommen wollen. Außerdem müssen alle 17,5 Millionen Immobilienbesitzer Angaben zu ihren Häusern und Wohnungen machen.
Was will der Staat wissen?
Wer von den Zensus-Interviewern direkt befragt wird, muss 45 Fragen beantworten, etwa zum Schulabschluss, zu Jobs und Jobsuche oder der Herkunft von sich und den Eltern. Musterbögen gibts unter zensus2011.de.
Muss ich die Zähler reinlassen?
Nein, die "Erhebungsbeauftragten" muss niemand ins Haus lassen. Die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten ist aber Pflicht, entweder online oder per Brief - wobei man die 1,45 Euro fürs Porto selbst zahlen muss. Bei einer Weigerung drohen Zwangs- und Bußgelder. Ob die Befragten wirklich nicht lügen, kann aber von den Behörden nicht hundertprozentig überprüft werden.
Sind meine Daten sicher?
Man habe den Datenschutz vor dem Start des Zensus noch mal verschärft, sagt der Chef des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler: "Jeder kann sicher sein: Diese Daten werden den abgeschotteten Bereich der amtlichen Statistik nicht verlassen." Kritiker glauben aber, dass die Daten missbraucht oder gestohlen werden können. Der Chaos Computer Club kritisiert, dass für den Zensus jedem eine Ordnungsnummer zugewiesen wird, die bis zu vier Jahre gespeichert wird - erst dann können die Daten definitiv nicht mehr deanonymisiert werden.
Kann die Polizei auf die Zensus-Daten zugreifen?
Beim Zensus besteht ein "Rückspielverbot", das heißt, die Daten dürfen nur für Zwecke der Statistik benutzt werden und nicht an die Polizei oder das Finanzamt weitergegeben werden. Kritiker befürchten dennoch, dass die Datensammlung Begehrlichkeiten wecken könnte - etwa bei Terrorfahndern.
Warum protestiert fast keiner gegen den Zensus?
Im Vergleich zum Massenprotest gegen die Volkszählung 1987 regen sich tatsächlich heute kaum Leute über den Zensus auf. Woran das liegt, kann man nur mutmaßen: In Zeiten von Facebook pfiffen viele auf den Datenschutz, meinen manche. Im Vergleich zu Themen wie der Vorratsdatenspeicherung gebe es größere Aufreger, glauben andere. Es gibt aber durchaus Protest. Der Arbeitskreis Zensus listet unter zensus11.de seine Bedenken auf.
Wann gibt es die Ergebnisse?
Ende 2012 soll die korrekte Einwohnerzahl für Deutschland ermittelt sein. Bis zur vollständigen Auswertung dauert es zwei Jahre.
Was sind die Folgen?
Die Zahlen können Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich haben. Länder wie Hessen zittern aber auch um ihre Stimmenzahl im Bundesrat. Sollten hierzulande, wie vom Statistischen Bundesamt erwartet, wirklich 1,3 Millionen Menschen weniger leben, könnte Deutschland auch einen Sitz im EU-Parlament verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär