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Volkskongreß gegen Jelzin

■ Deputierte wollen Vollmachten des russischen Präsidenten entziehen/ Jelzin seinerseits will weitere Ausweitung seiner Macht/ Heftige Kritik auch an der Wirtschaftspolitik

Moskau (ap/dpa) — Die Deputierten des Russischen Volkskongresses haben am Mittwoch Präsident Boris Jelzin wegen seiner Wirtschaftspolitik scharf kritisiert. Jelzin habe das russische Volk in die Armut gestoßen, sagte der Abgeordnete Waleri Woronzow. „Die Reformer, die die sogenannte Schocktherapie eingeleitet haben, müssen nun zwei neue Vokabeln lernen: Erste Hilfe und Wiederbelebung.“

Der stellvertretende Parlamentspräsident Sergej Filatow kündigte an, der Kongreß wolle Boris Jelzin die Sondervollmachten entziehen. Ein entspechender Antrag sei vorbereitet, erklärte Filatow gestern der Nachrichtenagentur 'interfax‘. Mehrere Delegierte traten ebenso wie Filatow für einen Rücktritt Jelzins ein. Am Dienstag hatte Jelzin den 1.046 Deputierten gesagt, eine Verringerung seiner Sondervollmachten würde das Land ins Chaos stürzen.

Daß Jelzin nicht daran denkt, Macht abzugeben, wurde auch in dem Entwurf für eine neue russische Verfassung deutlich, den Jelzins Rechtsexperte Sergej Schachrai vorbereitet hat. Nach Angaben der Nachrichtenagentur ‘interfax‘ sieht dieser Entwurf vor, daß der russische Präsident künftig für sechs Jahre gewählt wird. Er soll „unter Berücksichtigung der Meinung“ des Parlaments die Minister, den Staatssekretär und den Generalstaatsanwalt ernennen und kann sie von ihren Ämtern auch wieder entbinden. Falls das Parlament einen vorgeschlagenen Kandidaten ablehnt, kann der Präsident diesen trotzdem für bis zu ein Jahr berufen. Das Parlament kann die Ablösung von Ministern nur mit einer Zweidrittelmehrheit durchsetzen.

Im Streit um die auf der Krimhalbinsel stationierte Schwarzmeerflotte Jelzin gestern an, daß der Flottenkommandeur der Gemeinschaft, Wladimir Tschernawin, dem russischen Dekret vom Dienstag „vor Ort Nachdruck“ verleihen solle. Dies meldet 'Itar-Tass‘. In dem Dekret wurde die Flotte dem russischen Oberkommando unterstellt. Am Montag hatte der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk seinerseits Ansprüche auf die Seestreitkräfte angemeldet.

Ursprünglich hatten sich beide Seiten darauf geeinigt, die größten Schlachtschiffe dem Oberkommando der GUS zu unterstellen.

Unterdessen ist es in Berg-Karabach in der Nacht zum Mittwoch wieder zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Dabei wurden insgesamt 10 Menschen getötet und 64 verletzt, meldet 'interfax‘.

Nach Angaben des aserbaidschanischen Innenministeriums haben Einheiten bis Mittwoch morgen aserbaidschanische Dörfer mit Artillerie und Raketen beschossen. 7 Menschen seien getötet, 58 verletzt worden.

Das Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Baku berichtete von heftigen Kämpfen zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen im Bezirk Fusil.

Nach Angaben aus armenischen Regierungskreisen gab es bei aserbaidschanischen Raketenangriffen auf armenische Dörfer und Stepanakert, der Hauptstadt von Berg-Karabach, drei Tote und sechs Verletzte.

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