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Volkes Stimme zu Tempelhof (2): in der Marheinekehalle"Wie wärs mit einem Golfplatz?"

Sechs Tage vor dem Volksentscheid zu Tempelhof: An einer Kreuzberger Feinkosttheke prallen Welten aufeinander

Für Marianne E. lässt ein riesiger Flughafen viel Platz für die Fantasie. "Luxuswohnungen sollte man in Tempelhof bauen, in das Gebäude rein. Das fänden amerikanische Filmleute bestimmt lustig. Oder eine Shopping Mall", sagt sie. Daneben ein großer Park, mit einem See, spinnt sie weiter. "Wie wärs mit einem Golfplatz?", fragt die Freundin, die neben ihr am Tresen sitzt. "Meinetwegen", gibt E. zurück. Alles, nur kein Flugbetrieb mehr. Da sind sie sich einig. Ernsting sagt: "Ein Flughafen hat hier in der Innenstadt einfach nichts zu suchen."

Mittags in der weiß renovierten Marheinekehalle in Kreuzberg, keine 300 Meter von Tempelhof entfernt. Die zwei Frauen haben es sich am Stand für italienische Feinkost bequem gemacht. Fenchelsalami und Ziegenkäse sind im Angebot. Es riecht nach Kaffee. Ernsting arbeitete bis vor kurzem als Pressesprecherin eines Musikverlags. Die Freundin ist beim Rundfunk Berlin Brandenburg angestellt, nimmt gerade Elternzeit. Gebildete, politisch eher linke Menschen, typische Kreuzberger eben. Wer hier seinen Cappuccino trinkt, ist gegen den Flughafen, könnte man meinen. Aber so einfach ist das nicht.

Schräg gegenüber hockt ein Mann in Jacke und Schal und mampft eine Pizza. Ein Antiquitätenhändler, 52 Jahre alt. Eigentlich will er nicht gestört werden. Doch beim Stichwort Tempelhof sprudelt es aus ihm heraus. "Selbstverständlich bin ich dafür, dass der Flughafen bleibt!" Er wohne nicht weit davon entfernt, am Teltowkanal. Die Flugzeuge höre man gar nicht. "Parks gibt es schon genug in der Gegend." Er sei selbst schon von Tempelhof aus geflogen und halte es für Blödsinn, wenn Geschäftsleute wie in München erst lange zum Flughafen fahren müssten.

Der Mann fuchtelt wild mit dem linken Arm. Der Pizzarest auf seinem Teller wird kalt. Aber er lässt sich nicht beirren. Die Anwohner des Flughafens in Schönefeld störe der Lärm doch viel mehr, sagt er. "Ich gehe auf jeden Fall zum Volksentscheid nächsten Sonntag und stimme für Tempelhof."

Marianne E. und ihre Freundin haben die Espressobar inzwischen verlassen. Ein älterer Herr in dunklem Anzug lässt sich auf einem der freien Plätze nieder. Er stammt aus Kroatien, hat aber einen deutschen Pass. Auch er weiß, wo er am Sonntag sein Kreuzchen machen wird. "Das ist so ein schöner Flughafen. Den zu verkaufen, nein, das hat keinen Sinn."

Ein Volksentscheid über Tempelhof an der Theke für italienische Feinkost in Kreuzberg? Hätte eine hohe Beteiligung. Und ginge unentschieden aus.

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