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Volkan AğarPostproletDas GZSZ des politisch interessierten Bildungsbürgers

Foto: Livia Kappler

Bald wählen wir wieder einen neuen Bundestag! Können Sie es auch kaum erwarten, Ihre Bürgerpflicht zu erfüllen? Und damit die Besetzung für das nächste Theaterstück zu bestimmen, das wir dann allabendlich in den Nachrichten verfolgen können? Mit allen Gefühlen, die zum Leben gehören: Hoffnung, Enttäuschung, Wut. Was würden wir tun ohne den Politjournalismus, dem GZSZ des politisch interessierten Bildungsbürgers – nur dass es eben meistens schlechte Zeiten sind, weswegen diese Show eigentlich SZSZ heißen müsste. Die besonders politisch interessierten Bildungsbürger, zu denen ich mich selbst zähle, haben dank der Mediatheken jederzeit Zugriff auf den Stoff: Lanz, ­Miosga, Maischberger, Illner. Ich kann die Kol­le­g:in­nen zwar schon lange nicht mehr auseinanderhalten – aber steile Thesen und interessante Gäste haben Sie mir doch jedes Mal geboten.

Entschuldigen Sie bitte, wenn das jetzt ein bisschen abschätzig klingt und Sie vielleicht denken: Wie jetzt – ein Journalist, der so über unsere lebhafte Demokratie schreibt? Obwohl er qua Beruf eigentlich dazu verpflichtet ist, über diese lebhafte Demokratie zu informieren, ja, seine Leserinnen und Leser für diese lebhafte Demokratie zu interessieren und zu begeistern? Genauso wie all seine Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Tagen darüber empören, dass ein Politiker und seine Partei sich vor allem um ihren eigenen Arsch statt um das Wohl des Landes sorgen; die für ein paar Prozentpunkte Intrigen spinnen, Schlachtpläne ­schreiben und die Öffentlichkeit über diese belügen anstatt, soweit das noch geht, politische Projekte zu verfolgen, die sie ihren Wäh­le­r:in­nen versprochen haben. Und die das alles dann auch noch so viel ungeschickter anstellen als ihre politischen Wettbewerber, weshalb sie zu Lachnummer der Nation werden.

Natürlich sollte man nicht lügen, das haben wir doch als Kinder gelernt. Und über geschichtsvergessene Formulierungen kann man auch streiten. Aber wenn Sie glauben, dass alles schön und gut wäre, wenn da nicht Christian Lindner, der Jo Gerner der deutschen Politik, und seine FDP wären, dann beneide ich Sie um Ihre optimistische Sicht auf die Dinge. Dann können Sie an dieser Stelle gerne auch aufhören, diese Kolumne zu lesen, und sich wieder den Politikseiten dieser oder einer anderen Zeitung widmen. Denn dort laufen längst die Vorberichte für die nächste Spielzeit. Und Vorberichte, das kennen wir auch von den Bundesliga-Spieltagen, sind die schönsten Berichte.

Nichtwähler! Das ist ein echtes Problem für unsere Demokratie! Lass uns auf jeden Fall was zu Nichtwählern machen!, interveniert mein politisch interessiertes Ich, dem diese Kolumne langsam auch zu zynisch wird. Also google ich Nichtwähler – und lerne, dass Nichtwählen etwas mit Armut zu tun hat; aber dass Nichtwähler – bei der letzten Bundestagswahl 2021 immerhin fast ein Viertel der Wahlberechtigten – auch aus ganz anderen Gründen nicht wählen (ach was!).

Bald dürfen wir die Besetzung für das nächste Bundes-Theaterstück bestimmen, mit allen Gefühlen, die zum Leben gehören: Hoffnung, Enttäuschung, Wut

Bevor ich meine politisch interessierten Interviewanfragen an die Elenden des Landes losschicke, meldet sich mein politikverdrossenes Ich zurück: Warum eigentlich Interviews? Könnte doch auch ein Ich-Text werden!

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