■ Vogel und Schnur werden von der Vergangenheit eingeholt: Endlich
Manche angenehmen Überraschungen scheinen förmlich für das Sommerloch aufgespart zu sein. Nach allem, was zu den beiden Herren seit langem bekannt war, konnte man sich nur wundern, daß es mit dem Prozeßbeginn für Vogel und dem Entzug der Anwaltslizenz für Schnur so lange dauerte. Dreistigkeit und das Vertrauen auf die Verdrängungskräfte im vereinigten Deutschland werden die Hoffnung auf einen anderen Ausgang genährt haben. Nach Schnurs Enttarnung vor drei Jahren hätten ihm seine früheren Klienten eine andere Entscheidung gewünscht als die, sich wieder in den Rechtsanwaltsstand hineinzudrängeln. Doch seine Unverschämtheit ist kein Einzelfall. Allein in Berlin praktizieren gegenwärtig mehrere Dutzend hochbelastete Rechtsanwälte und Notare, die in der DDR als Vernehmer und Führungsoffiziere der Staatssicherheit oder als Richter in politischen Prozessen tätig waren. Wenn Schnur wegen Vertrauensbruchs und Verstoßes gegen „die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit“ seine Zulassung verliert, müssen diese Kriterien auch für die anderen gelten. Justizverwaltung und Anwaltskammer sind gleichermaßen gefordert, diesen Skandal nicht weiter zu verlängern. Auch ein ehemaliger DDR-Strafrechtsprofessor, der der politischen Unrechtsjustiz den Boden bereitete, ist in einer Rechtsanwaltskanzlei fehl am Platz.
Nicht nur für einige vorsintflutliche Bürgerrechtler hat der Rechtsstaat etwas mit Gerechtigkeit zu tun, selbst wenn sich postmoderne Zyniker daran delektieren. Vielen Juristen der alten Bundesrepublik, die für nationalsozialistisches Unrecht hochsensibel wurden, gelten die kommunistischen Verbrechen um des „höheren Zieles willen“ nach wie vor als läßliche Sünden. Mit einer neuen Verdrängung ist aber nur den Tätern gedient und nicht der Demokratie.
Bei Vogel steht die Frage genauso eindeutig. Er kommt nicht vor Gericht, weil er sich als Helfer in humanitären Fragen und als „ehrlicher Makler“ auf dem ungesicherten Feld der deutsch-deutschen Geheimbeziehungen die Finger verbrannte, sondern weil er in anscheinend unersättlicher Geldgier gleich mehrfach kassierte und seit Jahrzehnten direkt für die Staatssicherheit tätig war. Darüber hat er Untersuchungsausschüsse und Gerichte mehrfach belogen. Solange Falschaussagen und Meineide ungestraft inflationieren können, wird sich der Schleier über der jüngsten deutschen Vergangenheit nicht heben. Was auch prominente deutsche Politiker immer bewegen mag, über Leute wie Vogel weiter den Mantel des Verständnisses auszubreiten, die Aufklärung seiner wirklichen Rolle wird der Anfang vom Ende weiterer Geschichtslegenden sein. Wolfgang Templin
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