Völkerverständigung: Weil Liebe durch den Magen geht
In der Kreuzberger "Weltküche" treffen sich armenische und jüdische Menschen zum gemeinsamen Kochen, Essen und Kennenlernen. Ziel ist die Gründung eines Netzwerks der beiden Minderheiten.
Die Küche ist überfüllt. Mehrere Frauen rollen auf einer Arbeitsfläche aus Edelstahl Teig aus, die wenigsten haben eine Schürze dabei - der Teig weißt ihre Pullover ein wenig unvorteilhaft. Hier entsteht Lawasch, ein armenisches Fladenbrot. Sind die Fladen dünn genug, trägt sie jemand sacht zur Kochstelle, wo Karnig Gregorian in Jeans steht. Der Regisseur erhitzt das Brot kurz in einer mächtigen Pfanne. Er ist, auch wenn er nicht so aussieht, vom Fach. Später wird sein Film "Die Gerichte meines Vaters" zu sehen sein.
Was am Sonntagabend in der Kreuzberger "Weltküche" in der Graefestraße produziert wird, ist nicht nur köstliches Essen der armenischen und jüdischen Küche. Es ist zugleich ein Experiment: der erste Versuch, ein Netzwerk armenischer und jüdischer Menschen in ganz Deutschland zu gründen. Möglichst im Herbst soll es einen Kongress geben, auf dem die Erfahrungen dieser beiden Minderheiten in der deutschen Mehrheitsgesellschaft thematisiert werden. Bis dahin aber wird - gekocht und gegessen! Denn das gemeinsame Kochen und Essen verbindet. Und es transportiert zugleich viel von den eigenen Traditionen, die sich auch in der Küche der beiden Völker spiegeln.
Auf die Idee mit dem Kochen und dem Netzwerk kamen für die jüdische Seite Lara Dämmig und für die armenische Talin Bahcivanoglu. Letztere, eine 45-jährige Ethnologin, steht etwas gestresst im Trubel zwischen den kochenden Laien. Bahcivanoglus Anliegen: die beiden Minderheiten in einen Austausch über wichtige Fragen zu bringen. Wie etwa kann der Schritt hinaus aus der Gemeinde in die Mehrheitsgesellschaft am besten glücken? Wie steht es in ihren Gemeinschaften um die Beteiligung von Frauen in den Führungspositionen? Wie gehen beide Minderheiten mit der Problematik der Migration und der Armut eines Teils ihrer Landsleute um? Die Juden und die überwiegend christlichen Armenier teilen zudem die Erfahrung eines Völkermords in ihrer Geschichte. Dieses Thema solle allerdings nicht im Vordergrund stehen, erklärt Bahcivanoglu.
Lara Dämmig vom jüdischen Frauenbund Bet Debora sagt in der Küche, sie sei "ganz überrascht", wie viele Frauen und Männer den Weg in die "Weltküche" zum "kulinarischen Dialog", so der Titel des Treffens, gefunden haben. Etwa drei Dutzend Leute sind gekommen, vor allem Armenisch und Deutsch ist zu hören. Für Dämmig sind die Erfahrungen des Völkermords in den Familien der Anwesenden durchaus von Bedeutung. Sie etwa habe schon gemerkt, wie vorteilhaft es sei, dass der Holocaust an den europäischen Juden überhaupt ein Thema in der deutschen Gesellschaft sei. "Das macht vieles leichter im Zusammenleben." Im Gegensatz dazu sei es für die Armenier schwierig, Berlinerinnen und Berliner türkischer Herkunft einzubeziehen. Das liege daran, dass die offizielle türkische Seite den Völkermord an den Armeniern vor etwa 90 Jahren nicht anerkenne. Deshalb komme es in der Begegnung mit Menschen türkischer Herkunft schnell zu Irritationen.
Unter den jüdischen und armenischen Hobbyköchen ist die Stimmung dagegen gelassen und angeregt. Die professionelle Köchin Gaby Nonhoff erklärt die symbolische Bedeutung der jüdischen Speisen, die sich am traditionellen Festmahl für die nahende Pessach-Feier orientieren: Das ungesäuertes Fladenbrot etwa erinnert an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten - der Exodus war so überstürzt, dass keine Zeit mehr blieb, für das Brot einen Hefeteig anzusetzen.
Der 43-jährige Schriftsteller und Kommunikationsberater Vazrik Bazil erklärt vor der schmausenden armenisch-jüdischen Essgemeinschaft die Bedeutung der armenischen Speisen, die gereicht werden. Er erzählt von seinem Vater, der in den Siebzigerjahren ein Jahr lang Vorsitzender der armenischen Gemeinde in München war. Die Gemeindemitglieder habe er nur zu Treffen locken können, wenn neben kulturellen Angeboten auch gemeinsames Essen angekündigt wurde. Bazil verweist darauf, dass in der armenischen Sprache "Küche" in wörtlicher Übersetzung "der Ort des Denkens" bedeute. Und das Wort "Freund" sei im Armenischen dem exakten Wortsinn nach so zu übersetzen: "Der, mit dem ich esse."