Völkermord in Ruanda: Der gedeckte Mörder
Félicien Kabuga finanzierte den Radiosender, der zu dem Genozid an den Tutsi aufrief. In Kenia hat er nichts zu befürchten.
ARUSHA/NAIROBI taz "Hier ist Radio Libre Mille Collines", ruft der Moderator schwer atmend in sein Mikrofon. "Die Gräben sind erst zur Hälfte mit Tutsi-Leichen gefüllt, helft mit, sie aufzufüllen!" Es ist Frühjahr 1994 in Ruanda, seit dem 7. April haben die Morde an Tutsi und moderaten Hutu begonnen. Macheten, die schon vor Monaten lastwagenweise eingeführt worden sind, werden an die Hutu-Bevölkerungsmehrheit verteilt. Angeheizt wird die Stimmung von den Scharfmachern im Freien Radio der tausend Hügel, die später sogar Musikstücke senden, die den Völkermord glorifizieren. Später werden Medienwissenschaftler sagen, dass die Hasssendungen maßgeblich dazu beigetragen haben, den Völkermord am Laufen zu halten.
In nur hundert Tagen, zwischen dem 7. April und Mitte Juni 1994, wurden 800.000 bis 1 Million Menschen in Ruanda getötet. Am 6. April wurde das Flugzeug von Ruandas Hutu-Präsident Habyarimana abgeschossen, in der darauffolgenden Nacht begann das Morden. Hutu-Milizen töteten alle Tutsi, die sie fanden, sowie gemäßigte Hutu. Die internationale Staatengemeinschaft wollte wochenlang nicht wahrhaben, dass ein Völkermord passierte. Seit der Unabhängigkeit 1962 wurde das Land von Hutu regiert, hunderttausende Tutsi wurden in die Nachbarländer vertrieben. 1990 marschierte die von Exiltutsi geführte Rebellenarmee Ruandische Patriotische Front (RPF) aus Uganda in Ruanda ein, drei Jahre später schlossen Rebellen und Regierung Frieden. Eine gemeinsame Übergangsregierung wurde jedoch nie eingesetzt. Hutu-Hardliner lehnten jede Kooperation mit den Tutsi ab und bereiteten deren Auslöschung vor. Erst der erneute Vormarsch der Rebellenarmee beendete den Völkermord.
Der Mann, der hinter Radio Libre Mille Collines steckt, ist derselbe, der den Import von zehntausenden Macheten organisierte: Félicien Kabuga, einer der reichsten Männer Ruandas und Hutu-Extremist, für dessen Ergreifung die US-Regierung ein Lösegeld von 5 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat. Doch 15 Jahre nach Beginn des Genozids ist der inzwischen 74-Jährige immer noch auf der Flucht. "Von den 97 Angeklagten haben wir 84 festnehmen können", bilanziert Roland Amoussouga, Sprecher des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. "Nur 13 sind noch auf der Flucht."
Doch unter diesen 13 sind die vielleicht wichtigsten noch lebenden Hintermänner des Genozids: der damalige Verteidigungsminister Augustin Bizimana etwa, und Protais Mpiranya, Chef der besonders brutalen Präsidialgarde. Und Kabuga, der als Finanzier des Völkermordes gilt. "Bei vielen wissen wir ungefähr, wo sie sich aufhalten", sagt Hassan Jallow, der Chefankläger des von den UN eingerichteten Tribunals. Doch das reicht zur Festnahme nicht aus, denn das Tribunal hat keine Polizei. Wenn Jallow weiß, wo sich ein Verdächtiger aufhält, dann muss er die Regierung des Landes um Amtshilfe bitten. "Und nicht alle Regierungen sind so kooperativ, wie wir uns das wünschen würden."
Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass sich Félicien Kabuga seit fast 15 Jahren meistens in Kenias Hauptstadt Nairobi aufhält. Am 3. September 1994 stempelten Einreisebeamte seinen Pass am internationalen Flughafen, seine Frau und sechs Kinder folgten kurze Zeit später nach. Kenia war nicht Kabugas erste Wahl: Weder die Schweiz noch das damalige Zaire war bereit, den Völkermörder aufzunehmen.
In Kenia hingegen wurde Kabuga mit offenen Armen empfangen. "Der damalige ruandische Botschafter Cyprien Habimana sorgte dafür, dass eine ganze Reihe von Völkermördern Flüchtlingsstatus bekamen", erklärt ein damaliger Mitarbeiter von Kenias Ausländerbehörde im Schutz der Anonymität. Erst im Dezember wurde Habimana von der neuen Regierung nach Kigali zurückgerufen. Da hatte Kabuga bereits seine erste Wohnung im schicken Gemina Court bezogen, gleich neben der Witwe von Expräsident Juvénal Habyarimana. So groß war der Andrang der Extremisten, dass im September 1994 in der All Saints Basilica eine eigene Schule für 140 ihrer Kinder eröffnet wurde, in der auf Kinyarwanda unterrichtet wurde. Auch die tutsifeindliche Hetzschrift Kangura, die in kongolesischen Hutu-Flüchtlingslagern verteilt wurde, wurde in Nairobi gedruckt.
Die Kenia-Connection der Hutu-Elite um den ermordeten Präsident Juvenal Habyarimana, dessen Flugzeug am Vorabend des 7. April 1994 abgeschossen wurde, hat Tradition. Habyarimana selbst war mit Kenias autokratischem Präsidenten Daniel arap Moi gut befreundet und unterhielt mehrere Firmen in Mombasa und an Kenias Küste. Auch Kabuga hatte Verbindungen. Sein wohl nützlichster Beschützer soll der damalige Chef des gefürchteten Geheimdienstes, Zakayo Cheruiyot, gewesen sein. Vieles spricht dafür, dass es innerhalb von Bürokratie und Politik bis heute zahlreiche Männer gibt, die ihre schützende Hand über Kabuga halten.
Selbst der sonst eher diplomatische Chefankläger des Völkermordtribunals Jallow kritisiert Kenias Regierung mittlerweile öffentlich. "Im Kongo hat die Regierung Probleme mit ihrer Kapazität und kann deshalb viele Flüchtlinge nicht fassen", so Jallow. "In Kenia geht es nicht um Kapazität, es geht um politischen Willen."
Eine von Jallow ins Leben gerufene Taskforce, der Vertreter des Tribunals und der kenianischen Polizei angehören, legte vor nicht einmal einem Jahr einen bestürzenden Bericht vor: Das Netzwerk, das Kabuga zu seinem Schutz aufgebaut habe, umfasse den Expolizeipräsidenten des Landes, zwei persönliche Referenten des Präsidenten, zwei Minister, Kenias obersten Verwaltungschef und Heerscharen von Geschäftsleuten und Rechtsanwälten. Ein Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Mois habe zudem mit der neuen Regierung eine Vereinbarung darüber geschlossen, dass Kabuga weiterhin geschützt werde. Die Regierung Kibaki, die bis heute im Amt ist, wies alle Vorwürfe zurück. Der Bericht wurde nie veröffentlicht.
Wer den Fall Kabuga verfolgt, lebt gefährlich. Der kenianische Journalist Cyrus Ombati, der die Spur Kabugas seit Jahren verfolgt, ist sich dessen bewusst. Und dennoch will er nicht schweigen. "Die Regierung behauptet, Kabuga sei nicht im Land, aber gleichzeitig hat sie ihn gerade wegen Steuerhinterziehung angeklagt", weist er auf einen der vielen Widersprüche hin. "Polizeibeamte geben im Vieraugengespräch offen zu, dass er sich in Kenia frei bewegen kann", so Ombati. "Und gleichzeitig sagen sie dir: Pass bloß auf, was du über ihn schreibst!"
Das kenianische Finanzimperium Kabugas umfasst Immobilien, Farmen, Hotels, Transport- und ein Busunternehmen sowie eine Import-Export-Firma. Zwar hat Kenias Regierung nach langem Zögern Konten und Besitztümer Kabugas eingefroren, doch mindestens zwei Konten, die Jallows Taskforce im vergangenen Jahr überprüfen wollte, scheinen noch intakt zu sein. "Weder die Barclays Bank noch die Family Bank war bereit, uns bei der Aufklärung zu unterstützen", sagt ein Insider. Auch die Konten von Geschäftspartnern und Kabugas Schwiegersohn seien bis heute nicht gesperrt.
Einmal schien es, als seien die Verfolger kurz davor, Kabuga festzunehmen. Der Geschäftsmann William Munuhe vereinbarte ein Treffen mit Kabuga, bei dem die Polizei zugreifen sollte. Als Kabuga nicht wie vereinbart zum Treffen erschien, wurde der Einsatzleiter ungeduldig. Weil Munuhe seinen Telefonhörer nicht abnahm, brachen die Beamten die Tür auf. Sie fanden den 27-Jährigen tot in seinem Bett - er war mit einem Kopfschuss ermordet worden.
Auch weil die Polizei den Tod Munuhes lange geheim hielt, gehen viele bis heute davon aus, dass Polizei-Insider den Geschäftsmann verraten hatten. Vor einem Jahr, Jallow hatte einen kritischen Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat angekündigt, meldete die Polizei auf einmal die Festnahme Kabugas. Erst einige Tagen später, die Sicherheitsratssitzung war vorbei und Jallow zurück in Arusha, stellte sich heraus: Der Verhaftete war nicht Kabuga, sondern Charles Nyandwi, ein Mathematikdozent an Nairobis Universität, der Kabuga überhaupt nicht ähnlich sieht.
Doch Jallow will nicht aufgeben. "Kabuga bleibt einer der wichtigsten Flüchtlinge für uns, wir wollen ihn hier vor Gericht sehen, bevor wir Ende des Jahres die Verhandlungen einstellen", so der Chefankläger. Und etwas realistischer setzt er nach: "Diese Verbrechen verjähren nicht." Irgendwann werde man Kabuga finden und festnehmen. "Er kann wegrennen, aber er kann sich nie in Sicherheit wiegen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe