: Vivat Prinzessin Jule!
■ Die „Jule Neigel Band“ im Schlachthof / Überwältigende Massenverzückung
Ganz herrlich war es zwischen den Liedern! Da bejubelte, beklatschte und feierte das Publikum die schöne Frau auf der Bühne so enthusiastisch, daß Jule Neigel ganz baff und ungläubig in die Reihen kuckte, und sich so ehrlich, naiv und reizend zu freuen schien, daß alleine wegen dieses Bildes das Publikum noch begeisterter applaudierte. Und zum Ende hin wurde die Stimmung geradezu märchenhaft. Das Publikum hatte seine Prinzessin (in enger Lederhose), und die Prinzessin freute sich über ihr Volk dort unten, das ihre Bilderbuchkarriere möglich macht. Jule Neigel drückte am Montagabend von der Schlachthof-Bühne herunter so viele Hände wie nur möglich und jedem, der nah genug an der Bühne stand, blickte sie mindestens einmal tief in die Augen. Und dazu sang sie dann Liedzeilen wie „Es ist fast zu schön, um wahr zu sein“. Tatsache.
Die sehr professionelle siebenköpfige Begleitband mit Saxophonisten und zwei Sängerinnen spielte eine frische und rockige Mischung der gerade gängigen Stilrichtungen wie Samba, Soul oder Westcoast. Die Kompositionen waren gut durcharrangiert, eingängig, aber nie simpel. Und Jule Neigel sang die deutschen Texte so intensiv und glaubwürdig, daß man auch bei Zeilen wie „ohne dich kann ich nicht sein“, „du fehlst mir so“ oder „ich sehn mich so nach dir“ an das dazugehörige Gefühl und nie an deutsche Schlager erinnert wurde.
Der rasende Beifall aber hat eher mit Jule Neigels sehr temeramentvollen und natürlichen Bühnenpräsenz zu tun: man sieht ihr gerne dabei zu, wie sie über die Bühne tanzt, mit großen Schwierigkeiten das Publikum so leise kriegt, daß die Gruppe sich für ein A-capella-Stück einstimmen kann, oder wie sie von der Bühne steigt, um im Gedränge der Zuhörer weiterzusingen, ohne auch dabei auch nur einen Ton zu verpatzen.
Natürlich würde sie nicht so gefeiert, wenn sie einen großen Pickel auf der Nase hätte, aber ein Märchen von einer runzligen Prinzessin will auch kein Kind hören. Willy Taub
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