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Virtuelles GraffitiDie digitale Sprühdose

Jedes beliebige Objekt bemalen können, ohne giftige Gase und ohne Ärger mit der Polizei – das verspricht Wii Spray. Nutzer können damit etwa virtuell den Bundestag besprühen.

Wii Spray - Gefüllt mit Controller statt mit Lack. Bild: Jens Hauspurg

Der Grafiker und Interfacedesigner Martin Lihs von der Bauhaus Universität Weimar traf einst in Lissabon den digital orientierten Sprayer „Target“. Die Arbeitsweise des Künstlers faszinierte Lihs. Target erstellt Schablonen für seine Arbeit am Computer, fotografiert die Wände die er bemalen will und testet vorher, wie seine Ideen darauf wirken. Martin Lihs dachte das weiter.

Er entwickelte ein sprühdosenförmiges Werkzeug, in das man den bewegungssensiblen Controller einer Nintendo Wii einlegt und dann damit auf einem Videobeamer oder einem sehr großen Fernseher virtuell Graffitis schaffen kann.

Im Moment läuft die dazugehörige Software auf einem Mac, denn Nintendo zeigt bisher noch wenig Interesse daran, das System auf seiner Plattform zur Marktreife zu bringen. So bleibt es vorerst bei einem Prototyp, der allerdings in einem Video schon Qualität beweist.

Eine erste Kleinserie der digitalen Sprühdose soll Ende August in die Hände der Probierwütigen gelangen. Der unter Sprayern enorm populäre Sprühdosenhersteller Montana hat den Trend erkannt und sich rechtzeitig eine exklusive Partnerschaft gesichert. Er unterstützt das Projekt finanziell und vermittelt Kontakte zu Künstlern, die in Zusammenarbeit mit dem Entwicklerteam die Idee immer weiter ausfeilen und letztlich auf die Ansprüche jedes einzelnen Sprayers zuschneiden sollen.

„Aufgrund der Tatsache das es sich bei WiiSpray um eine Mischung aus Soft- und Hardware handelt, entstehen Möglichkeiten die mit der klassischen Sprühdose nicht zu verwirklichen sind. Man hat jede Farbe der Welt zur Auswahl, kann Farben beliebig mischen, angeben wie schnell die Farben verlaufen sollen, die Art des Farbauftrags personalisieren. Es entsteht Raum für Experimente, wie zum Beispiel die Schwerkraft oder gleich das Ganze Bild umzudrehen. Das ist alles leicht programmierbar“, sagt Lihs. „Durch eine Vernetzung ergeben sich auch ganz neue Möglichkeiten der gemeinsamen Arbeit, man kann über Erdteile hinweg gleichzeitig an einem Bild arbeiten.“

Der Berliner Sprayer „Cope“ sieht darin eher ein Kinderspielzeug. Ihm würde das Adrenalin fehlen, das nächtliche Teamwork, der „Fame“ den ein weit verbreitetes Kürzel mit sich bringt.

Martin Lihs meint dazu: „Ich weiss nicht, ob die Bilder durch ihre „Körperlosigkeit“ abgewertet werden. Es kommt auf die Ansprüche des Künstlers an, für welches Medium er arbeiten will, ob er bereit ist seine Kunst in die digitale Welt zu übertragen. Aber es ergeben sich ja durchaus auch interessante hybride Nutzungsmöglichkeiten, wie wenn etwa Wii Spray verwendet wird, um ein Skizzenbuch zu füllen, mit Ideen die man dann auch nach aussen tragen kann.“ Dazu können sogar verschiedene Hintergründe eingeladen werden, ein Zug oder gleich der Bundestag, um dann zu schauen wie das Werk darauf wirken würde.

Das Üben ohne Adrenalin und ohne Gefahr ist für manche auch ein Vorteil. Gerade angesichts des massiv steigenden Repressionsdrucks, Hubschraubern mit Wärmebildkameras und drastischen Strafen könnte dies ein Stück sichere Zukunft für die Grafittikultur bieten. Martin Lihs relativiert das ganz bescheiden: „Es ist klar als Zusatzmöglichkeit gedacht und soll die herkömmliche Streetart auf keinen Fall ersetzen.“

Die große Stärke liegt für ihn in der Übertragung der Grafffitikultur in den virtuellen Raum. Er träumt von einer Nutzung innerhalb von Videospielen, wie zum Beispiel Grand Theft Auto oder anderen virtuellen Welten, die dieses Gerät als Extragimmick einbauen könnten. „Wii Spray ist ein Interface-Experiment, das die Barriere zwischen digitaler Information und gegenständlicher Welt überbrücken soll, um Streetart eine neue, virtuelle Ebene außerhalb der real existierenden Welt zu bieten“, so Lihs.

Es gibt mehrere ähnliche Projekte, in denen man virtuell Graffiti schaffen kann. Sie sind beispielsweise mit einem Smartphone, oder ganz simpel mit einer Maus zu bedienen. Aber ihnen fehlt das originalgetreue Handling oder die direkte Übertragung der Aktionen ins Virtuelle. Lihs erklärt das so: „Die physische und die digitale Ebene wachsen bei Wii Spray zusammen, die Verbindung ist direkt wahrnehmbar und nicht relativ zueinander, wie mit einem Mauszeiger, sondern der Strich entsteht da, wo die Dose hinzeigt.“

Ein Problem der derzeitigen Variante ist eine kleine Verzögerung zwischen der Bewegung und dem Farbauftrag, daran wir aber gearbeitet. Auch die Darstellung des Bildes in einer ständigen „Überbelichtung“, durch das Eigenleuchten der Leinwand oder des Bildschirms, wirkt gewöhnungsbedürftig, aber „das ist ein Grundproblem des Mediums, damit muss man sich arrangieren“, sagt Lihs.

Als neuestes Gimmick hat er einen digitalen Schablonenhalter gebaut, mit dem man selbst designte Schablonen virtuell auf der Leinwand plazieren kann. „Die Idee bietet so viele Möglichkeiten, das Konzept ist noch lang nicht zu Ende gedacht“, ist sich der Entwickler sicher.

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