Village Voice : Hypnotisierende akustische Gitarre, flatternder Dub und minimale Technotöne lassen alle auf ihre Kosten kommen
Längst haben sie sich aufgelöst, die Grenzen zwischen Lied und Track, operiert der Dancefloor mit Songformaten und die Rockmusik mit Wertschätzung für die Monotonie. Indietronics hieß die entstandene Schnittmenge mal, aber nun finden sich in nahezu allen Genres artfremde Strukturen und Klänge, kennt das große Crossovern keine Grenzen mehr. So adaptieren Taunus, ein Nebenprojekt der Berliner Band Gaston, auf ihrem Debutalbum „Malinche“ die Grundidee von atmosphärischer Stimmung aus dem Trance, verzichten konsequent aufs Verbale und klimpern sich auf ihren akustischen Gitarren so lange eins, bis aus dem Folk-Sound ein hypnotisches Monster geworden ist, das selbst noch die sanft entrückten Kings of Convenience von der Couch kicken würde. Dort angekommen läuft man als Hörer natürlich immer wieder mal Gefahr, tief in den dicken Polstern zu versinken. Allerdings hat so viel Selbstgefälligkeit natürlich auch ihren Reiz – ganz abgesehen von dem heimelig runden Gefühl im Bauch, das die leise dahingeklimperten Stücke auslösen.Ein verwandter Gaul wird auf „Quality Is Punk“ von leicht links hinten aufgezäumt. Blankrecords, ein Label- und Musikantenprojekt aus Tobias Vethake (sonst Sicker Man), Andreas Rosenhahn (HiFi Brown) und Joao Orecchia (Neverland), hat unter diesem Titel Musik versammelt, die sich mit klassischen Improvisationstechniken an modernen Klangerzeugungsmethoden versucht. Die Elektronik dräut düster: Es schwillt drohend an, schwillt ab, moduliert von Menschenhand am Maschinenregler. Die Idee ist Dub, die zerdehnten und zerfasernden Klänge aber stammen nicht aus dem Reggae. In manchem Stück findet kaum mehr statt als ein zartes Flimmern, ein vorsichtiges Flattern, eine Ahnung von Musik, die aber mitunter einen Sog entfesselt, der zuerst langsam das Herz schneller schlagen lässt und, hört man nur intensiv genug zu, einen wie Treibsand verschluckt. Im Hidden Track schließlich nimmt uns eine jammernde Gitarre mit auf ein Post-Aloha-verkatertes Hawaii. Man kann, das ist das Fazit, ganz schön leise und zugleich unheimlich bedrohlich sein.Vergleichsweise kuschelig geht es – trotz des martialischen Titels – auf „Explode“ zu, der ersten Zusammenarbeit der Berliner Electro-Liedermacherin Antye Greie, die ihre verdrehten Miniaturen sonst als Laub oder AGF veröffentlicht, und der finnischen House-Koryphäe Vladislav Delay. Hier beginnt der Crossover also schon in der personellen Konstellation. Und setzt sich im musikalischen fort, wenn agf/delay mit den Mitteln des Minimal Techno sich am TripHop versuchen, oder anders herum: Bekenntnislyrik mit Maschinenschaben versöhnt. Stimme und Rhythmus, das muss meistens reichen, wenn die beiden miteinander Seelentiefen ausloten, wobei die mal monotonen, mal disparaten Beats von Delay mitunter aussagekräftiger wirken als Greies diesmal ausschließlich englische Sanges- und Dichtkunst. Das Ergebnis ist so reduziert wie kitschig, so lieblos wie liebevoll, so langweilig wie aufregend, ist – eben – grenzenlos.THOMAS WINKLER