Village Voice : Größenwahn und Selbstbeweihräucherung im Großstadtdschungel
Aus welchen Löchern kommen sie nur gekrochen, all die Großmäuler und Kotzbrocken. Die Straßen von Berlin scheinen nur noch von Aufschneidern und Schnellschimpfern bevölkert zu sein, die mit ihren Raps den Rest der Republik runtermachen. Jetzt, da Marktführer Kool Savas seine neue CD („Die John Bello Story“) herausbringt, ist es Zeit für einen kleinen Ausflug in das Reich des Battle-Rap, dorthin, wo bestimmte männliche Körperteile stets sehr „dick“, die weiblichen Pendants immer „feucht“ und die Zungen flink sind. Dass Bass Sultan Hengzts erstes Album, „Rap braucht kein Abitur“, indiziert wurde, wird in Kreisen des selbst ernannten Neuköllner „Gangsters“ als Auszeichnung eingeschätzt. Auch auf der fantasievoll betitelten Fortsetzung „Rap braucht immer noch kein Abitur“ sind die Reime von Hengzt so schmucklos wie ein Antrag auf Wohngeld („Zeig mir deine Doppelreime und du merkst, dass ich dann noch doppelt auf dich scheiße“) und allzu oft, gelinde gesagt, zwiespältig: „Ich rap hart wie ein Deutscher aus dem harten Dritten Reich.“ Tatsächlich reimt sich meistens überhaupt nichts, Virtuosität wird ersetzt durch Brachial-Beats und scheinbare Authentizität: „Ein Kanacke hat keine Wahl, aber ich bin nur ein Junge aus dem Großstadtdschungel“. Fragt sich, warum man Rap braucht, wenn man auch reißerische Spiegel-Sozialreportagen lesen kann …Sentino, 21-Jähriger aus Pankow, kann zwar nicht mit Ghettokindheit glänzen, aber immerhin mit einem Schulabbruch. Seitdem gehörte er zur Konkursmasse von Def Jam Germany, arbeitete mit Kool Savas, Sido und Bushido und kam mit den Ostberliner Analphabeten ebenso klar wie mit den sie hassenden Aggroberlinern aus Kreuzberg. Zuletzt brachte eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Großmeistern des deutschen Rap an den Tag, dass sich nahezu jeder Battle-Rapper schon Texte von Ghostwriter Sentino hat verfassen lassen. Das erste reguläre Album lässt weiter auf sich warten, aber auf dem als CD getarnten Mixtape „Sentino’s Way – Fall und Aufstieg“ gibt es schon jetzt über meist von DJ Desue einfallsreich programmierten Beats gewaltige Versgewitter, deren Eloquenz darüber hinwegsehen lässt, dass die kunstvoll gedrechselten Binnenreime weitgehend nur der genreüblichen Selbstbeweihräucherung dienen.Vokalmatador ist dagegen so etwas wie ein Veteran. Er hat sich im Royal Bunker herumgetrieben und war Mitglied bei Sidos Excrew Die Sekte. 32 Jahre ist er alt, „Leben unter Geiern“ trotzdem sein erstes Album und der Beweis, dass gut Ding manchmal eben doch Weile braucht. Die Bitch-und-Dick-Dichte ist zwar auch bei ihm erstligareif, aber hier reimt sich „Hast du Bock zu ficken?“ immerhin auf „Das ganze Paarungsritual ist meist haarig und voller Tücken“. Vokalmatador mag nicht der eleganteste Reimer sein, aber seine Beats erfüllen ihren Zweck: Aus Billy Joels „Uptown Girl“ wird so das „Abturn-Girl“. Unseren kleinen Vergleichstest entscheidet er dank Selbstironie und Comedy-Talent ganz klar für sich.THOMAS WINKLER